Filmclub


Lotte in Weimar, ein Film der DEFA aus dem Jahre 1974

Die flotte Lotte und ihr Dichterkronprinz anno 1772

Nach dem Heißsporn Schiller wollte die Aka-Filmgemeinde nun auch etwas vom jungen Goethe sehen. So geht es diesmal um Lotte und Johann. Einmal um die antiquarische Version  „Lotte in Weimar“ im Gefolge des Thomas Mann-Romans und zum anderen um die Alternativen-Fakten – Inszenierung „Goethe“ aus dem Jahre 2010, einmal Erinnerung und einmal Vergegenwärtigung.

Weimar schwelgt 44 Jahre nach der „Werther-Hysterie“ 1816 noch immer in seligen Erinnerungen an Lotte Buff-Kestner und den heißblütigen kommenden Dichterfürsten.
Lotte, jetzt Kestner, besucht in Weimar ihre Schwester und möchte wohl auch noch einmal ihrer Jugendliebe wieder begegnen.

Charlottes Gemahl Johann Kestner ist verstorben und so begleitet sie ihre Tochter in der Kutsche nach Weimar. Im Thomas-Mann-Roman sind die Hauptakteure: Charlotte, wunderbar von Lilli Palmer verkörpert, ihre Tochter, Goethe und Sohn August, der schrullige und übereifrige Hotelbedienstete Mager, Adele Schopenhauer, die kluge Tochter der berühmten Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, die kesse Schwiegertochter Goethes „Ottilie“, und der kluge, ehrgeizige Hauslehrer und Chefsekretär des Dichterfürsten „Dr. Riemer“.

Der Regisseur und Drehbuchautor Egon Günther stützt sich in seiner Filmrealisierung hauptsächlich auf die Romanvorlage „Lotte in Weimar“. Lilli Palmer spielt, selbstbewusst und sympathisch, die schöne, lebenstüchtige und kritische Charlotte. Martin Hellberg verkörpert den selbstgefälligen, leidenschaftslosen Goethe eindrucksvoll. Auch die jungen Frauen Ottilie, Charlottes Tochter und Adele wissen zu überzeugen. Hilmar Baumann spielt die tragische Figur des Möchtegerns und Alkoholikers August v. Goethe  sehr empathisch.

Der Film beginnt im Vorspann mit Liebesszenen aus der „Werther“-Zeit. Dann folgt die Ankunft der Witwe „Hofrätin Kestner“ in Weimar. Im Hotel „Elephant“ gerät der Geschäftsführer „Mager“ völlig aus dem Häuschen, als er gewahr wird, dass die Hofrätin, das Vorbild für die Werthergeliebte Lotte, sein Gast ist. In gestelzter Sprache, unterwürfig und gleichzeitig aufdringlich, beschwatzt er seine Gäste, überrascht aber auch gleichzeitig mit seinem kulturellen Wissen. Er sorgt dafür, dass die Ankunft Lottes sich in Weimar wie ein Lauffeuer verbreitet. Von den Anstrengungen der Reise möchte sich Lotte erholen, doch draußen entsteht ein Tumult Schaulustiger und drinnen klopft ständig Mager an die Tür und verkündet den Besuchswunsch prominenter Weimarer Honoratioren. Zunächst erscheint eine irische Porträtmalerin, die Lotte verewigen möchte. Die Hofrätin empfindet dies noch als einigermaßen entspannend. Dann folgt Goethes Generalsekretär Dr. Riemer und damit ist die Ruhe endgültig dahin, Der Doktor ist nicht zu bremsen. Er versucht Lotte zu verdeutlichen, was sein Chef, der Dichterfürst, ihm alles zu verdanken habe, er, der große Philologe und Bildungsretter des unbegabten Goethesohnes „August“. Sie sprechen auch über die Liebesbegegnungen im Schatten des Reichskammergerichtes in Wetzlar. Lotte betont, dass sie schon damals Goethe als einen problematischen Charakter empfunden habe und seinetwegen eine Trennung von ihrem Verlobten Johann Kestner nicht erwogen habe. Sie betont das Schöne an der Dreierbeziehung Lotte – Kestner – Goethe(Werther), aber auch das Gefährliche und im Werther Verfälschte.

Nach 3 Stunden Gespräch findet sich die kluge, schlagfertige und gebildete Schwester Arthur Schopenhauers „Adele“ ein. So erfährt Charlotte viel über den Weimarer Hof und dessen Politik Dabei kommt Manches zur Sprache, was sie eigentlich gar nicht wissen will. Natürlich verschweigt sie nicht, dass Sohn August beabsichtigt, die forsche, leicht narzisstische Ottilie von Pogisch zu heiraten, obwohl diese nur das berühmte Elternhaus des armen August liebe. Ottilies große Liebe war der tapfere, im Kampf gegen Napoleon verwundeten Offizier Ferdinand, dem sie für alle Zeiten ihr Herz geschenkt habe.
Dann taucht der Goethe-Sohn selbst auf. Lotte gegrüßt ihn überaus liebevoll und ihr Mitleid mit dem überforderten unattraktiven Mann ist ihr deutlich anzumerken. Sie erkennt Augusts Not. Er steht unter einem hohen Erwartungsdruck, versucht diesem mit gestelzter Gelehrsamkeit gerecht zu werden. Dahinter verbirgt er allerdings unübersehbar große Leere und fehlende Intelligenz. Der 25jährige leidet unter dem Verlust seiner Mutter Christiane Vulpius, die vor wenigen Jahren gestorben war. Augusts Vorbild ist offenbar Dr.Riemer und nicht sein wenig einfühlsamer Vater. Dies führte wahrscheinlich auch zu seinem Jähzorn und seiner Trunksucht. In der Unterhaltung bezüglich der anstehenden Hochzeit mit Ottilie zeigt sich August ziemlich tollpatschig. Zuletzt überbringt er Lotte eine Einladung zu einer Tafelrunde in 3 Tagen.

Im Roman folgt dann ein innerer Monolog Goethes mit seinem Diener Carl Stadelmann.
Darin wirft er seiner einst Angebeteten vor, sie sei nur darauf aus, „an seinem Ruhm naschen“ zu wollen. – Der große Thomas Mann geht also auf Distanz zu dem noch größeren Johann Wolfgang v- Goethe !

Im Film folgt nun die Tischgesellschaft. Die meisten Teilnehmer zeigen sich überaus devot gegenüber dem Oberhaupt der deutschen Literatur und zollen Unschicklichkeiten des großen Dichters verhaltenen Beifall. Lotte ist peinlich berührt und verlässt so schnell wie möglich die Gesellschaft. Der Meister stellt ihr eine Kutsche zur Verfügung. Zu ihrer Überraschung hat sich der Dichterfürst in dieser versteckt, um ein abschließendes Gespräch mit der einst Geliebten zu führen. Statt eines Dialoges wird es aber nur ein selbstgefälliger Monolog. Lotte ist nun aller Illusionen beraubt, reagiert souverän, ohne den alternden „Gockel“ in irgendeiner Form zu verletzen.

Der Zuschauer ist von Lotte, alias Lilli Palmer, begeistert, ihr gehören alle Sympathien und die Aka-Cineasten bedauern zutiefst, dass diese gewinnende Frau 12 Jahre nach der Filmproduktion an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben ist.

Mit einem weiteren Goethe-Film versuchte ich wieder Sympathie für den großen Meister zu wecken. Deshalb schauten wir in unserem Filmclub die Werther-Fassung „Goethe“ an. So schrieb ich in der Einladung: …„lassen wir uns von dem jungen Goethe verführen … jetzt vergessen wir  einmal den selbstherrlichen Meister, und auch den lebensmüden Werther. Erfreuen uns an der lebensfreudig, frechen Lotte. –„Der Superstar des 18.Jahrhunderts ist auferstanden. Aus Ehrerbietung gab es im Aka-Treff deshalb auch nur Mineralwasser und keinen Alkohol zu trinken!“

Wolfgang Schwarz   (16.03.2018)