Filmclub
Peter Tschaikowsky, Eugen Onegin, eine Opernverfilmung
Liebe, ein Torschusstraining zwischen Himmel und Hölle oder warum wir so viel wollen und so wenig erreichen.
In unserer Filmreihe mit Beiträgen aus der russischen Hochkultur erlebten wir nach Literaturverfilmungen und Ballettaufführungen letztlich eine Inszenierung von Tschaikowskys Meisteroper„Eugen Onegin“. Unter der Leitung von Sir George Solti lauschten wir dem „Royal Opera House“- Orchester.
Allerdings waren es nur wenige, die den Weg in den Aka-Treff fanden. Nach 2 Stunden verließen sie dann tief beglückt den Ort am Ständeplatz.
Fröhlich beginnt die Oper: In einer russisch- ländlichen Idylle begleitet das Orchester Chor und Solisten bei volkstümlichen Liedern und Tänzen. Dies alles geschieht auf dem Gut der Witwe Larina. Mutter Larinas Interesse gilt vor allem ihren beiden Töchtern, die sie gewinnbringend oder zumindest angemessen verheiraten will. Sie ist sich sicher, die ältere Tochter Olga, temperamentvoll, schön und lebenshungrig, lasse sich gut vermarkten. Mit der weniger hübschen und verträumten Tatjana ist es schon schwieriger. Die 19jährige Olga ist bereits mit dem Dichter und Gutsbesitzer Vladimir Lensky verlobt, während sich die schüchterne Tatjana in der Lektüre zweitklassiger Liebesromane verliert und vom russischen Landadel kaum wahrgenommen wird.
Während die Schnitter feiern, stürmen zwei wilde Reiter herbei: Lensky und sein Freund, der Dandy und gelangweilte Lord Byron Imitator Eugen Onegin. Die unerfahrene Tatjana verliebt sich in den depressiv-selbstherrlichen Eugen.Tatjana will die für sie berauschende Begegnung verarbeiten und schreibt an Eugen einen Brief, in dem sie ihm ihre Liebe gesteht.
Bei der berühmten Briefszene lauschen wir erstmals der leitmotivischen Grundstimmung der Oper: schwelgerisch – leidenschaftliche Glückshoffnung mit tragisch – verzweifelten Untertönen -. Trotz ihrer Sehnsucht beherrschen Tatjana Zweifel. Ihre Amme ist besorgt um ihren schwärmerischen Liebling, denn sie weiß um ihre Unerfahrenheit.
Am Ende des 1.Aktes taucht Eugen auf und belehrt die Naive, dass ihr eine Verbindung mit ihm kein Glück brächte, da sie bei einer Verbindung zu wenig Gegenliebe und Achtung fände.
Der 2.Akt beginnt, einige Zeit ist verstrichen, wieder befinden wir uns in der larinaschen Villa, dort wird mit großem Pomp Tatjanas Namenstag gefeiert. Tatjana überwindet sich und tanzt auch mit Eugen, der sich am Gerede der Gäste stört und sich ansonsten ziemlich langweilt. Um Lensky zu ärgern, macht er Olga den Hof und tanzt mit ihr, obwohl diese den wichtigsten Tanz schon ihrem Verlobten versprochen hatte. Vladimir platzt vor Eifersucht und gerät mit dem Freund in einen heftigen Streit, der Entsetzen bei der Ballgesellschaft auslöst und letztlich mit einer Duellforderung seitens Lensky endet. Beide Kontrahenten spüren, dass sie einen Fehler gemacht haben, dennoch wollen sie Satisfaktion. Olga will ihren Bräutigam beruhigen, doch dieser löst spontan die Verlobung. Die beiden Duellanten treffen in einer Schneewüste aufeinander und der schlimmste Fall tritt ein: Onegin erschießt seinen besten Freund. Lensky hatte sein Schicksal vorausgeahnt und dies dem Opernpublikum mit einer leitmotivischen Variation der Briefszene angekündigt: „Wohin seid ihr entschwunden…“. Mit dieser Arie wird der nahe Liebestod besungen. Vier Jahre gehen ins Land!
Eugen Onegin taucht in St. Petersburg bei einem Ball des Fürsten Gremin wieder auf.
Bei den Walzerklängen entdeckt er die Gastgeberin. Es ist die Fürstin Tatjana, die den ältlichen Gremin geheiratet hat. Der greise Gatte trägt gerade ein Liebeslied für Tatjana vor. Wieder ist es eine Variation des Leitmotivs, vorgetragen von einem der besten lyrischen Bässe aller Zeiten, Nicolai Chiaurov. Eugen sucht eine Aussprache mit Tatjana.Er gesteht auf einmal seine leidenschaftliche Liebe zu Tatjana und will sie zu einer gemeinsamen Zukunft überreden. Tatjana ist tief getroffen, gesteht auch ihre weiter vorhandene Liebe zu Eugen, doch ihrem Ehemann will sie eine solche Enttäuschung nicht zumuten, da sie sich ihm zu größter Dankbarkeit verpflichtet fühlt. Moralische Pflicht ist ihr wichtiger als Liebesleidenschaft, sie weist den wehleidigen Eugen ab.
Das Leitmotiv ist gleichzusetzen mit der musikalischen – textlichen Kernaussage, die der Komponist zum Ausdruck bringen will. Für Wagner war dies kennzeichnend und Tschaikowsky scheint ihm diesbezüglich zu folgen. Er drückt in diesen Fall das verhängnisvolle, leidenschaftliche Liebesverlangen, zunächst von Tatjana und dann von Eugen aus. Liebe ist für den Komponisten ein temporäres Phänomen, das der moralischen Pflichterfüllung gegenüber steht. Lensky scheitert an den Umständen der Situation und seiner rauschhaften Wahrnehmung. Onegin wiederum scheitert an seiner Kurzsichtigkeit, Borniertheit und seinem jähen Umschlagen von Gefühlen. Tatjana findet zwar keine spontane Erfüllung, aber sie gibt sich mit einem bescheideneren Gefühlsleben zufrieden. Sie empfindet empathisch, ist voll Dankbarkeit und ordnet sich sozialen Werten von langfristiger Bedeutung unter. Fürst Gremin demonstriert, dass zwar mit zunehmendem Alter die triebhafte Liebe abnimmt, dafür aber gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit zunehmen können. Insofern sind Tatjana und Gremin die Gewinner im Spiel mit den Gefühlen. Hätte Eugen auf Geduld gesetzt, wären Tatjana und Eugen die Glücklichen gewesen.
Das Leitmotivszenarium hat bei Tschaikowsky wohl auch einen autobiographischen Hintergrund. Für ihn blieb die Liebe als größtes Glück ein unerfüllbarer Traum. Zwar hatte er der Stalkerin Antonia Miljukowa zunächst einen Korb geben wollen, sich dann aber ihrem Drängen gebeugt. Wahrscheinlich wollte er aber mit dieser Ehe nur seine Homosexualität verschleiern. Hier war die Vernunftentscheidung allerdings fatal, schon nach wenigen Wochen war die Ehe gescheitert. Dieses Scheitern wird auch in der 0per „Eugen Onegin“ zur leitmotivischen Aussage im wagnerischen Sinne.
Bei Tschaikowsky war sein Scheitern in der Liebe vorprogrammiert, bei Onegin nicht, aber er hat seine Chance eben nicht genutzt!
Wolfgang Schwarz