Letzte Meldung 2015

Der Filmclub rätselt: Jahrzehnte-Tatort oder Zuschauerveräppelung?

Wir, die Aufmerksamen, die stets am Ball bleiben wollen, mit einem Wort, die „Filmclubenthusiasten“, setzen uns mit dem aktuellen Fernsehgeschehen auseinander. Rege Diskussionen löste so der „Tukur-Tatort“ aus:

War es überhaupt ein Krimi?

War es nur eine Verbeugung vor Ulrich Tukur?

War es doch ein Verrat an die Wort- und Bildkultur des „Tatortes“?

Wer war der Täter: Kommissar Murot, die ARD-Mafia oder Ulrich Tukur?

Es gab zwar einen Schuldigen, aber keinen eigentlichen Täter, keine kriminalistisch abgesegnete Leiche!

Also:

Unsere Meinung, es war der bisher beste Tatort-Film, ohne ein wahrhafter (dieses Attribut ist demütig zu entschuldigen) Krimi zu sein.

 

Dazu war die Schuldverstrickung zu dürftig, nur ein Unfalltäter, der im Suff das Lenkrad nicht in seine Gewalt bekam, aber sonst immer auf der Seite der Guten stand und ein fast noch minderjähriges Opfer und unangeschnallten Beifahrer unbeabsichtigt ins Jenseits beförderte. Die Juristen rätseln: Gewaltverbrechen oder sträflicher Leichtsinn? Der kommissarische Täter, der den hohen Spielgewinn des nicht mehr ausgabefähigen Opfers in Gewahrsam nimmt; dazu ein arbeitsloser Ossi-Kommissar, der später den Gewinn unterschlägt; die Casino-Gang, die Murot/Tukur erpresst und zusammenschlägt, ein Tatverdächtiger, der sich in die Hose macht.

Fazit zum Krimi-Ranking: Es gab schon Schlechteres, immerhin 3. Liga.

Aber nun, eine köstliche Satire auf die eitle, verblendete, selbstgewichtige Fernseharmada: Moral unbekannt, ständiger Selbstbetrug, geheuchelte Freundschaft, unterwürfige Quotenjäger, Verherrlichung des Scheins und über allem thront der unbezweifelbare Ulrich, das Genie mit dem verschleierten Blick, ein Gott, der so hilflos und begnadet schauspielert. Die Anderen? Nicht schlecht, doch vergessbar. Wir rufen im Kreis der Begeisterungsfähigen: Ulrich, Ulrich, Ulrich! Aber wer so hoch steht, verliert Bonuspunkte und verliert bei seinen Mitstreitern. Nebenrollen sind bei Alpha-Tieren nicht gefragt.

Das Beste zum Schluss: Ein Film mit philosophischen Tiefgang. Ein Bravo dem Drehbuchautoren und Ideengebern.

Alle menschlichen Wesen haben eine brüchige Identität, sie spielen Rollen, ohne ihr Ich zu kennen. Wer bin ich? Ein Selbst, ein Ich, ein Mitläufer, ein Nichts im Universum oder alles zusammen?

Der Mensch, ein gespaltenes Wesen, dem Tierreich ohne sein Zutun entronnen, ein Opfer der barmherzigen Evolution. Der Mensch weiß nicht, wer er ist und er möchte es auch gar nicht wissen. Im Zweifel allein ruht die Kraft, die aufbaut und zerstört. Wir müssen nur den Anderen etwas vormachen, wir müssen alle Schauspieler sein. Gewiss ist nur das Ende. Womit wir wieder beim Krimi wären. Wer ist der Täter? Wir oder die trostlose Evolution oder doch der unberechenbare, eigenwillige Gott?

Bei all diesen Fragen, eines bleibt gewiss: Dem HR ist ein großer Wurf gelungen. Gut , dass auch wir Hessen sind. Schade nur, dass der Film nicht in Nordhessen gedreht wurde, statt Schuppen und bewachsender Bordsteinkante hätte es ein herrliches Mittelgebirgsepos werden können!

Weil wir Nordhessen nichts zu sagen haben, schweigen wir jetzt lieber.

Das war die ungenehmigte Zusammenfassung unserer fröhlichen Filmclubdiskussion.

Schriftleiter: Wolfgang Schwarz, 28.12.2015