Vorlesen/Erzählen

Min Modersprak, wa klingst du schön!

Einmal im Monat trifft sich der Vorlesekreis im Aka -Treff. Wir tragen eigene Texte, Geschichten oder Berichte vor oder geben unsere Lieblingsautoren preis. Böse Menschen, natürlich keine Mitglieder, nennen unseren Kreis auch „das Vortragstreffen der Mitteilungsbedürftigen“. Aber was wäre das Leben, wenn unsere Nachbarn und Freunde nicht etwas erzählen oder vortragen würden? Hielten wir es dann überhaupt 80 oder gar 100 Jahre auf diesem Planeten aus?

Ein Schwerpunkt unserer Unterhaltungsbemühungen ist die Mundartsprache. Die Oberdeutschen tragen Texte aus dem Alemannischen oder in Schwyzerdütsch vor, die Niederdeutschen bringen den Nordhessischen Dialekt, das Friesische oder Dithmarscher Platt zu Gehör.

Zunächst soll Klaus Groth zu Wort kommen und die Hessen und Badener rätseln lassen. Im platten Land auf fruchtbaren Boden liegt an Nordsee und Elbmündung die Provinz Dithmarschen. Die reichen Marschbauern, die es früher zum Markt nach Heide verschlug, um Weißkohl, Kartoffeln und Karotten, sowie noch manch Anderes dort auf dem Markt zu verkaufen oder um dabei anrührende Schwätzchen mit Mamsellen und Hausfrauen zu führen, stritten sich lange mit Kassel, ob Heide nicht den größten innerstädtischen Markt von Deutschland besitze.

Hier in Heide wurde der Dichter der berühmten „Quickborn Lieder“, Klaus Groth, am 14.04.1819 geboren. Obwohl aus einfachen Verhältnissen (Bauern- und Handwerker-Familie) fällt der Knabe schon in der Grundschule als hochbegabt und zartgliedrig auf. Sein Lehrer sorgt dafür, dass er nach der Schule beim Kirchvogt als Schreiber unterkommt. Als Autodidakt schafft er nebenbei die Aufnahmeprüfung für das Lehrerseminar. 1841 schließt er das Studium als zweitbester ab und wird Hilfslehrer an einer Mädchenschule in Heide. Bereits ein Jahr später wird er Hauptlehrer und soll angeblich das Unterrichtsniveau der Schule sehr gehoben haben. Nebenbei gründet der Schulmeister noch eine Liedertafel und andere Bildungseinrichtungen. Auch bildet er sich ständig fort, da er den Studienabschluss als Gymnasiallehrer anstrebt. Sein Übereifer führt aber zu einem Burn–Out, so dass er vom Unterricht freigestellt wird und 1849 ganz aus dem Schuldienst ausscheidet. Nun verfasst er zahlreiche plattdeutsche Gedichte und veröffentlicht sie unter dem Titel „Ouickborn - Lieder“.

Bis heute sind allein von dieser Textsammlung ungefähr 50 Auflagen erschienen.   (Als unsere geliebte Grundschullehrerin das Wagnis einging zu heiraten, übernahm ein strenger Typ den Deutschunterricht. Allenfalls einige Motorradfans schätzten ihn, weil er Tag für Tag  mit dem Motorrad sich auf den Weg in die „Moorschule“ machte. Immerhin, er wollte uns das „Plattdeutsche“ näher bringen und trug deshalb die Ballade „Ol Büsum“ mit großer Dramatik und Begeisterung vor. Die meisten Mitschüler/innen konnten sich das Lachen nicht verkneifen. Wutentbrannt brach der Rezitator seinen Vortrag ab und meinte, wir wären es nicht wert, der Schönheit des Niederdeutschen näher gebracht zu werden. Damit wurde die Unterrichtseinheit „Plattdütsch“ abgesetzt. Ich machte mir heimlich die Mühe, das Gedicht auswendig zu lernen und kann es bis heute. Meine Klassenkameraden wissen das aber immer noch nicht.)

Das ist über 50 Jahre her, aber für mich Grund zum Auftakt der „Klaus Groth“ - Reihe im Vorlesekreis. Wir begannen mit „Min Jehann“. Das wehmütige Gedicht widmete Klaus Groth seinem Lieblingsbruder„Johannes“:

      Min Jehann

      Ik wull, wi weern noch kleen, Jehann
      Do weer de Welt so grot!
      We seten op den Steen, Jehann,
      Weest noch? Be Nawers Sot.

      Am Heben seil de stille Maan,
      Wi segen, wa he leep,

      Un snacken, wa de Himmel hoch
      Un wa de Sot wul deep.

      Weest noch, wa still dat weer, Jehann?
      Dor röhr keen Blatt an Bom,
      So is dat nu ni mehr, Jehann,
      As höchstens noch in Drom.

      Och ne, wenn do de Scheper sung,
      Alleen int wide Feld:
      Ni wahr, Jehann? dat weer en Ton!
      De eenzige op de Welt.

      Mitünner in´e Schummertid,
      Denn ward mi so to Mot.
      Denn löppt mi´t langs den Rügg so hitt
      As domals bi den Sot.

      Denn dreih ik mi so hasti um,
      As weer ik nich alleen:
      Doch allens, wat ik finn,
      Dat is - ik sta un ween.

      (Klaus Groth)


Die norddeutsch Gebürtigen verstanden das Gedicht recht gut, die Hessen und die Oberdeutschen hatten allerdings ihre liebe Mühe. Den Begriff „Sot“ kannte keiner. „Sot“ bedeutet „Brunnen“ und das Brunnenmotiv werden wir später noch einmal aufnehmen.
Die sentimentalen Verse wurden dem Dichter verziehen und sogar gutgeheißen, da manche ähnlich  empfanden, als sie an ihre eigene Kindheit dachten. Solche Erinnerungen sind zumeist an bestimmte Personen gebunden. In diesem Fall war es „Jehann“. So hieß Klaus Groths Lieblingsbruder und überhaupt schien der Name Johannes in Dithmarschen zu damaliger Zeit weit verbreitet. Auch die Lyrikerin Sophie Dethleffs, 1809 ebenfalls in Heide geboren, widmet Jehann ein Gedicht, „ De ole Jehann“. Klaus Groth empfand die 10 Jahre Ältere zunächst als Konkurrentin, denn auch sie dichtete in der Modersprak. In den frühen Zeiten der Rivalität äußerte er sich recht abfällig über die schleswig-holsteinische Patriotin. Als sie aber seine Gedichte sehr lobte, war der Neid schnell vergessen. Vor allem ein Loblied aus den 50ziger Jahren dürfte ihm sehr gefallen haben:

      In Büsum seet ick oft alleen
      Wul an de Nordsee op`n Steen,
      Dien Quickborn in de Hand:
      Da bä ick, da du sund muggst bleib`n
      Un muggst noch vil Schönes schrieb`n
      Ich bä vör`t ganze Land.

      (Sophie Dethleffs)


Beide Dichter litten häufig an Erkrankungen und so kommen die Gesundheitswünsche wohl nicht von ungefähr. Sophie Dethleffs ging schon mit 43 Jahren in das Schröder-Stift nach Hamburg. Klaus Groth wurde wegen seiner häufigen Bettlägrigkeit von spöttischen Zeitgenossen als der „eingebildete Kranke“ verunglimpft. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, erst mit 80 Jahren zu sterben.
Sophie war 47 Jahre, als Groth sie 1857 im Stift besuchte. Voll Mitgefühl beschreibt er sie:
„Awer trurig, möd, in sik eensam, as man seggt, dalknickt seet se dar“  (Groth Biographie S.. 87).

Wegen der Namensgleichheit habe ich ihr Gedicht  „De ole Jehann“ vorgelesen.
In dem Gedicht wird ein reumütig heimkehrender, alter Landstreicher beschrieben:

      De ole Jehann

      Ik wull dak`n Kind weer! Dat wünsch ik m´so
      Och, as ik`n Kind weer, wo glücklich weer`k do!

      Do seet ik in Blomhof, un bunn mi en Struss,
      un baben bu Hadbar en Nest sik op`n Hus.

      Un da löpt de beek noch, un geit de Moel,
      un da is de Platz, wo ik Hinkeputt spel.
      Un Abends von`t Speelen reep Moder mi rin,
      In`t Bett muss ik beeden, un gliek sleep ik in.

      Un nu bin ik old warn, un grau sind min Haar,
      Un wenn ik torich seh, is`t Hart mi so swar
      Da baben wahnt hadbar noch jümmer op`t Dack
      Un ik hef herumswarmt, hef Dack nich un Fach.

      Min hart is voll Unruh, min Leben voll Sünn,
      Fremd stah ik an Tun hier, un nims röpt mi rin.

      De Hunn de bellt na den schäbigen Mann,
      Keen Nawer seggt fründlich: God`n Abend, Jehann!

      Wo is mi so eensam un trurig to Moth!
      Ik will dak`n Kind weer! – Ik wull ik weer dot!

      (Sophie Dethleffs)

Während sich Klaus Groth bemüht, seinen Jehann an die schönen Stunden ihrer gemeinsamen Kindheit am Brunnen zu erinnern, zeichnet Sophie Dethleffs das Bild eines ausgehungerten, heruntergekommen Vagabunden, der an die Stätten seiner Kindheit zurückkehrt und die einzig schönen und wahren Stunden seines Lebens heraufbeschwört, um sich nun den Tod als Tröstung und Befreiung vorzustellen. Wer sich leichtsinnig den Mühen des Lebens entzieht, bezahlt dies mit Sinnverlust seiner Existenz und seines Selbstwertgefühls.

Jetzt aber genug der Trauer und der sentimentalen Erinnerungen!
Kommen wir nun zu einem Hohen Lied eines ganz Großen für einen Großen.
Theodor Storm hat auch eine „Ode in Platt“ für den fast gleichaltrigen Klaus Groth verfasst:

      An Klaus Groth

      Wenn`t Abend ward,
      Un still de Welt un still dat Hart;
      Wenn möd up´t knee di liggt de Hand,
      Un ut din Hausklock an de Wand
      Du hörst den Parpendikelslag,
      De nich to Woort keem över Dag,
      Wenn`t Schummern in de Ecken liggt,
      Un buten all de Nachtswulk flüggt;
      Wenn den noch eenmal kiekt de Sünn
      Mit goldeen Schiin to`t Finster rin,
      Un, ehr de Släp kümmt un de Nacht
      Noch eenmal Allens lävt un lacht, -
      Dat is so wat vör`t Minschenhart,
      Wenn`t Abend ward.    

      (Theodor Storm)

Die Dichterfreundschaft der beiden Nordfriesen gründet m. E. auf drei Säulen:

1.    Beide erkennen die Faszination und poetische Kraft des Plattdeutschen
2.    Beide vereint die Liebe zur Heimat, zur See und Küstenlandschaft
3.    In ihren Gedichten kommt das Stimmungshafte der Stille und die
       Schönheit der Schummertid immer wieder zum Ausdruck.
3.1. Der Husumer Dichterfürst war zudem ein echter Freund, der nicht nur lobte,
       sondern auch kritisierte. So empfand er doch einige Gedichte als zu oberflächlich,
       womit er durchaus Recht hatte.
                                                                                                 
Beide Autoren schätzen besonders die Stille der Schummertid, wobei Theodor Storm mindest gleichstark auch die Stille der Mittagsstunden schätzte (siehe „Abseits“):

      Es ist so still, die Heide liegt
      Im warmen Mittagssonnenstrahle

Doch auch für den Reiz der Schummertid lassen sich bei Storm mehrere  Beispiele finden. (vgl. „Meeresstrand“):

      An`s Haff nun fliegt die Möwe,
      Und Dämmrung bricht herein;
      Über die die feuchten Watten
      Spiegelt der Abendschein.

Welch ein Übergang vom Platt zum Hochdeutschen!

Kommen wir nun zum Dritten im Bunde, ein Wesselburener Jung, der keiner sein wollte und das Plattdeutsche einfach verdrängte!

Bitte etwas Geduld, noch wird nichts verraten!

Wolfgang Schwarz                   Im Wonnemonat Mai 2017

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