Sándor Márai, Die Glut

München 2000 (Erstauflage 1942)

Prolog

Das Leben kann doch so schön sein, aber davon wollte Márai nichts wissen. Ihm ging es um Wahrhaftigkeit (Die Jahreszeiten, Budapest 1938, S.8) und nicht um die seltenen Freuden des Lebens. Bei den meisten  Philosophen bedeutet das eben auch keine „Glücksverheißung“, da Menschen so geartet sind, dass eine allgemeine Lebensfreude nicht möglich erscheint. Márai war ein Pessimist mit philosophischem Tiefgang. Über solche Romanciers sagt er in seinem tagebuchähnlichen Aufzeichnungen „Jahreszeiten“: Die Literatur und das Leben verschmelzen nach und nach in diesem Fegefeuer (S.21). Seine eigenen Aussagen kommentiert er dabei durchaus ironisch: Ich wollte mir das Rauchen abgewöhnen, aber das lohnt sich nicht, nächstes Jahr kommt doch der Weltkrieg (S. 10). Auf dem Höhepunkt seiner Depression schreibt er im August 1937: „Ich werde sterben und bin nie glücklich gewesen.“ (S.157)

 

Der Roman wurde in unserem Literaturkreis als großartige Neuentdeckung gefeiert und keiner hat sich an dem negativen Grundton gestört. Nur lapidar wurde bemerkt: Ein guter Philosoph weiß eben, dass es um die Freuden des Lebens schon immer schlecht bestellt war! Die Einschätzung Márais als Philosophen kam auch einem anderen Aka-Mitglied in den Sinn: Peter aus der Philosophierunde schlug, ohne zu wissen, dass wir im Literaturkreis Márai lesen, als nächste Philosophielektüre „Die Glut“ vor.

Die psycho-philosophische Botschaft

Mangel  an Glück und Liebe litt im Roman vor allem die Hauptfigur „Der General“. In seiner Kindheitsdarstellung erfahren wir seinen Vornamen „Hendrik“, ansonsten findet nur die Bezeichnung „Kind“ und fast ausschließlich „der General“ Verwendung. Der Nachname wurde wahrscheinlich aus ermittlungstaktischen Gründen dem Leser verschwiegen. Der General ist zum Zeitpunkt des Hauptteils der Erzählung 75 Jahre (1940) alt. Er wird als pedantisch und autoritär dargstellt. Dieser Ordnungsfanatiker trifft nach 41 Jahren seinen einzigen Freund „Konrad“ wieder, mit dem er noch eine „Rechnung“ zu begleichen hat.
Sie treffen sich im Schloss des Generals mitten in der Puszta. Zum Dienstpersonal gehört auch die 91jährige Nini. Sie war die Amme des Kindes und stand lebenslang  dem General wie eine Mutter zur Seite.

Der allwissende Erzähler macht einen Ausflug in die Kindheit des Generals. Der Vater war ein Gardeoffizier aus altem Adel, ein recht ungebildeter Mann und leidenschaftlicher Jäger, seine Mutter eine adelsstolze Französin, die sich in einem Zustand geistiger Verwirrung
in den Offizier verliebt, ihn heiratet und ihm in die ungarische Tiefebene folgt. In dieser Einöde wird sie unglücklich, fühlt sich vom freudvollen Leben ausgeschlossen und wartet stets ungeduldig auf den jährlich vereinbarten Besuch in ihrer Heimat an der frz. Atlantik-küste.

Als der 9jährige Sohn, der spätere General, erstmals mitreist, erkrankt er im schönen Frankreich lebensbedrohlich. Die Mutter lässt daraufhin die Amme Nini nachkommen und der Junge erlebt eine Wunderheilung. Nini gibt dem Jungen Liebe und Sicherheit, was die unglückliche Mutter dem Knaben nicht zu geben vermag.

Mit 12 Jahren kommt Hendrik in eine Kadettenanstalt nach Wien. Dort fühlt er sich zunächst recht unwohl, bis er sich mit Konrad anfreundet. Die Kameraden der Beiden kommentieren: ein Herz und eine Seele! Konrad spürt ein wenig Neid, weil Hendrik im Gegensatz zu ihm die Vorzüge des Wohlstands und des Standes auskosten kann. Allerdings beteiligt Hendrik den Freund auch an seinen eigenen Privilegien, der diese Vergünstigungen aber als demütigend  empfindet. Nur auf dem Gebiet der Musik ist Konrad seinem Kameraden weit überlegen. Dies wird dem künftigen General besonders bewusst, als Konrad und seine Mutter eine vier-händige Version von  Chopins „Polonaise fantaisie“ bei einem Schlosskonzert spielen. Mit Sorge beobachtet Hendriks Vater das Duo und kommentiert: „Aus Konrad wird nie ein richtiger Soldat … weil er eine andere Art Mensch ist.“ (S.53)

In Wien, der Stadt der Lebensfreude und der Hochkultur lebt der Jungoffizier Konrad wie ein Mönch, während der junge Hendrik nach Liebesabenteuer sucht. Konrad zieht sich in seine kleine Wohnung zurück und versucht, sich weiterzubilden. Hendrik verlässt sich dagegen auf seinen gewinnenden Charme. Beide kennen die leichte Liebe und so sieht sich der Erzähler genötigt, darauf hinzuweisen, dass es ein viel tieferes Gefühl gibt: Nämlich das der Männer-freundschaft (S. 65). Viel besser als Frauen erleben Männer tiefe Zuneigung auch ohne direkte Kommunikation, also im Alleinsein, in Momenten des Schweigens und Verstummens (S.70). Der General litt in seiner Kindheit unter der fehlenden Mutterliebe und erlebt in seiner Ehe mit Krisztina die Wiederholung dieser traumatischen Erfahrung. Er ist davon überzeugt, dass sie ihm wegen Konrad die Treue gebrochen hat und macht dafür ihre gemeinsame Liebe zur Musik verantwortlich. Nach der vermeintlichen Aufdeckung des Treuebruchs verlässt Konrad Wien und der General zieht in sein Jagdhaus, während Krisztina bis zu ihrem frühen Tod verlassen im Schloss verbleibt. Bevor es zur Aussprache zwischen Konrad und dem General kommt, versucht Nini, noch einmal die Wogen zu glätten und Frieden zu stiften: „Als Krisztina im Sterben lag, hat sie nach dir gerufen.“ (S.75) Damit gibt sich der General nicht zufrieden. Er will die “ganze Wahrheit“ erfahren, und die kann seiner Meinung nach nur das anstehende Gespräch mit Konrad  bringen.         
Sie begrüßen sich kühl und die folgende Konversation verläuft schleppend. Der General ist überzeugt, dass ein wohlhabender Mann ihm gegenüber sitzt. Nach seiner Flucht, diesen Begriff versucht Konrad entschieden zurückzuweisen, hat er sofort den Dienst quittiert und ist nach Singapur ausgewandert. Die klimatischen Verhältnisse waren gesundheitsschädigend. Trotzdem hat er auch im Sinne einer Selbstbestrafung  durchgehalten und ist britischer Staatsbürger geworden. Für beide Gesprächsteilnehmer erscheint Krisztina stets präsent. Konrad erzählt nur kurz von seinem neuen Wohnsitz in der Nähe von London. Er sei gekommen, um noch einmal die Stätten seiner schönsten Zeit wieder zu sehen, das  ist vor allem Wien. Er erfährt, dass Krisztina im Alter von 33 Jahren 1907 gestorben ist. Der General will wissen, ob Konrad auch in den Tropen noch Chopin gespielt habe. Dies verneint der Jugendfreund. Es hätte zu viele schmerzliche Erinnerungen wachgerufen (S.100).

Damit endet der Dialog und der General rekonstruiert fortan die Gefühlswelten von Konrad und Krisztina. Konrad unterbricht die Ausführungen und den Monolog nicht und scheint die die Interpretationen seiner Verhaltensweisen nicht widersprechen zu wollen. Die Seelen-analysen weiten sich essayistisch aus. Das Hauptthema ist vor allem Freundschaft, betrachtet unter den Aspekten Hass, Glut und Jagdleidenschaft.

In diesen Zusammenhängen möchte der General vor allem die Motive für Konrads Flucht erfahren. Da Konrad geschickt die Antwort  verweigert, muss der Leser aufgrund der Ausführungen des Generals die Zusammenhänge und Hintergründe selbst rekonstruieren,
So erfahren wir, dass Konrad damals ein kleines Erbe erhalten hat und sich dafür eine eigene Wohnung in Wien kaufte. Diese ist sein Rückzugsrefugium, in das er niemals seinen scheinbar besten Freund, eben Hendrik, eingeladen hat. Der General empfand das als Vertrauensbruch. Erst nach der Flucht musste der General erfahren, dass der aparte Wohnsitz aber keine Tabuzone für Krisztina darstellte.

Der Auslöser für die Flucht war offensichtlich das Jagdgeschehen vor der Abreise. Obwohl Konrad hinter dem General den Wald durchstreifte, merkte dieser, dass Konrad auf ihn das Gewehr gerichtet hatte und erst im letzten Moment den tödlichen Schuss unterließ. Das deutete der General als das Ende ihrer 24 Jahre währenden Freundschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt war der General davon überzeugt, dass die beiderseitige Freundschaft eine Zuneigung von leidenschaftlicher Glut war, die stärker als jede Liebe ist. Er wiederholt in seinem Monolog mehrmals den Satz: „Wir waren Freunde“ (S.100) und die Tötungsabsicht beendete diese innigste Form des Zusammenlebens. Dass Konrad tatsächlich seinen Hass in einen Mord umsetzen wollte, rief wohl bei ihm ein solches Entsetzen über sich selbst hervor, dass er nur noch die Flucht als einzige Möglichkeit zur Verarbeitung dieses Traumas sah. Die Indizien sprechen dafür, dass auch Krisztina in den Mordkomplott eingeweiht war, denn sie schien sehr überrascht, als sie den General nach der Jagd lebend und unbeschadet wieder sah. Dabei entschlüpfte ihr der Ausruf: „Der Feigling!“ (S.169). Die Eheleute lebten fortan getrennt. Nach Ansicht des Generals waren Konrad und Krisztina „Menschen anderer Art“ und trotz ihrer kulturellen Überlegenheit waren sie bereit, aus eigennützigen Gründen zu töten und Freundschaft und Ehe zu zerstören. Der General resümiert weiter über das Thema „Liebe und Freundschaft“ und kommt im Zusammenhang mit den Gefühlen zu dem Schluss: Leben ist etwas anderes als Überleben. Wer nur überlebt, trägt in sich einen Hass, er will Rache (S. 186ff). Konrad schweigt zu seinen Ausführungen, aber der General will absolute Gewissheit: „Warst du Krisztinas Liebhaber?“ (S. 189). Konrad schweigt weiter und der General gesteht, dass er damals Krisztina töten wollte. Der Rückzug ins Jagdhaus habe ihn jedoch davor bewahrt. Nach Krisztinas Tod brachte er ihr Tagebuch in seinen Besitz, zunächst begierig, endlich die ganze Wahrheit zu erfahren. Doch erbrach er nicht das Sigel und will Konrad das Buch gben, damit er es öffne und ihm die Wahrheit verkünde. Doch Konrad wirft „das schmale Buch in die Glut“ des Kaminfeuers (S. 210).

Wahrscheinlich will der Autor uns mit dieser Feuer- und Brandsymbolik die Leidenschaft und Tragik dieses Lebens und allgemein des Daseins zum Ausdruck bringen. Am Ende bleibt eben nur die Asche!

Die beiden alten Männer verabschieden sich in der Gewissheit, dass sie die Verlierer sind. Krisztina ist tot und beide sehnen sich nach ihr. Neben der gescheiterten Liebe ist zudem auch noch ihre Freundschaft, als letzter Rettungsanker, gescheitert.
    
In einem zweiten Teil möchte ich mich noch näher mit Márais essayistischen Ausführungen, auch in Verbindung mit anderen Texten des Autors, zum Thema Freundschaft und Jagd auseinandersetzen.

Es gibt also eine Fortsetzung!

Wolfgang Schwarz, der Frühling kündet sich an: Wie schön doch das Leben sein kann!
                                 Auf dem Rondell zu sitzen, Schwarzbier zu trinken und über die
                                 blitzende Fulda einen Blick in die Unendlichkeit zu wagen.



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