Annette von Droste-Hülshoff VI
1. Levins Nachbeben
Für uns existiert Levin nur aufgrund seiner kurzen Verbindung mit Annette v. Droste-Hülshoff. Aber es gab natürlich auch sein Sein nach der Droste. Im Gegensatz zu Annette hielt sich sein Trennungsschmerz jedoch in Grenzen. Der Verlust wurde von ihm, abgesehen von einigen Seitenhieben in der Novelle "Die Ritterbürtigen", nicht wie bei Droste poetisch aufgearbeitet. Das Leben schritt weiter voran und auch die Verbindung mit der protestantisch-üppigen Schönheit Louise von Gall machte ihn weder adelig noch sorgenfrei und belebte auch nicht sein literarisches Schaffen.
Louises Vater war immerhin ein hessischer General, dennoch konnte er seiner Tochter kein großes Vermögen nach der Hochzeit zukommen lassen. Louise war mit dem Ehepaar Freiligrath befreundet und der Jungdeutsche Dichter und spätere Emigrant vermittelte eine Brieffreundschaft mit Levin. Brieflich, ohne sich vorher gesehen zu haben, verlobten sich die Beiden. Diese Tatsache sollte zunächst vor Annette geheim gehalten werden. Um seinen anspruchsvollen Lebensstil zu finanzieren, musste sich Levin einer „journalistisch – literarischen Fronarbeit“ unterwerfen. Auch seine Heirat im Oktober 1843, als Droste noch auf Levin gehofft hatte und erst wenige Monate nachdem sich Levin und Louise erstmals gesehen hatten, änderte sich an dieser geistigen Erniedrigung nichts. Louise steuerte, so gut sie konnte, durch ihre eigene journalistische Arbeit etwas zur Haushaltskasse bei. Levin erhielt erstmals 1845 eine feste Anstellung, dies bei der angesehenen „Kölnischen Zeitung“.
Levin erbte zwar von seiner verwitweten Cousine in der westfälischen Provinz das Landgut „Sassenberg“, doch zögerten die Eheleute nach westfälisch Sibirien zu ziehen. Erst als keinerlei lukrative Alternativen in Aussicht standen, siedelten sie 1852 nach Sassenberg um. Schnell sorgten dort die konservativ - einfältigen Verhältnisse für tiefe Depressionen bei den Ehepartnern.
Sassenberg befindet sich nahe Warendorf, das heute wegen seiner erfolgreichen Pferdezucht bekannt ist. 1855 starb die knapp 40jährige Louise nach der Geburt ihres 4.Kindes und Levin Schücking entschloss sich, Sassenberg hauptsächlich als Sommersitz zu nutzen. Die Erziehung der Kinder übernahm die Gouvernante Marie v. Horvath. Eine enge Freundschaft verband Levin mit der Witwe eines Gymnasiallehrers, Elisabeth Ludorff, die in Warendorf lebte und offensichtlich gut zu Fuß war, um den Jungwitwer häufig zu besuchen. Mit Elisabeth unternahm Levin mehrere größere Reisen (London 1862, Paris 1867, Berlin 1880, 81, 82, Wien 1887/88, ).
Seine literarisch-publizistische Arbeit wurde zudem mit dem Doktortitel der Universität Gießen honoriert. In seinen letzten vier Lebensjahren verbrachte Levin den Winter in Rom. Bis zum Ende seines Lebens hatte der halbherzige Adelskritiker gehofft, selbst den Adelsbrief zu erhalten. Dieser Kummer dürfte aber nicht der Grund dafür gewesen sein, dass Levin 1883 sich in jenseitige Gestade davon machte.
2. Levin Schücking, Der Kampf im Spessart, Berlin/Leipzig o.J.
Ich wollte auch einmal einen Roman von Schücking lesen, im Antiquariat Boller fand sich nur „Der Kampf im Spessart“, den es auch in Neuauflagen gibt.
Also, dann mol ran:
Aschaffenburg ist nicht weit, doch im düsteren Spessart gruselt es einem. Wir schreiben das Jahr 1796 und die Franzosen durchstreifen die deutschen Lande. Noch sind sie nicht so erfolgreich wie unter Bonaparte und sie müssen manche Niederlage einstecken. Flüchtende Soldaten und Armeen versetzen die Landbevölkerung in Angst und Schrecken.
Im Forsthaus Borchhardt hat die Muhme Margarete einen 4jährigen Jungen in ihrer Obhut. Sie wartet auf den Förster, der vor einem halben Jahr den Knaben aus einer verunglückten Kutsche barg und ihn mit nach Hause nahm. Weil der Reisebegleiter des Kleinen Hilfe an der nächsten Poststation holen wollte, übergab er den Jungen dem Förster Wilderich Borchardt und versprach, den Knaben nach der Reparatur des Fuhrwerkes wieder abzuholen. Der vornehme Franzose war aber nicht wieder aufgetaucht und Wilderich hatte den Knaben lieb gewonnen und kümmerte sich um ihn wie ein Vater. Wilderich kam am Nachmittag in Begleitung einer Nonne kurz vorbei und wollte nur noch die Gottesdienerin schnell ins nahe gelegene Goschenwald bringen, da sie an ihrem bisherigen Klosterwohnsitz nicht mehr sicher war.
Am nächsten Tag wird aus der Nonne ein schönes junges Mädchen im grünen Kleid. Wilderich verliebt sich sofort in die Jungfer Benedicte, kann sich aber vorerst nicht um die Angebetete kümmern, sondern beschäftigt sich vorrangig um die Organisation einer Widerstandtruppe gegen die Franzosen. Die Muhme hat deshalb Angst, dass er damit sein Leben riskiert und so die Zukunft des Pflegekindes auf dem Spiel steht. Wilderich gibt nun gegenüber Margarete sein Wissen über den Jungen preis: Der Reisebegleiter des Knaben sollte diesen nach Paris bringen. Sobald die Dinge geregelt seien, würde der Franzose den Jungen abholen und die Pflegefamilie für ihre Dienste entsprechend entlohnen.
Jetzt die Fragen des Lesers:
1) Wer ist der Junge, warum sollte er nach Paris gebracht werden?
2) Wer sind die Eltern des Jungen, warum haben sie die Dinge nicht selbst in die Hand genommen?
3) Was hat es mit der angeblichen Nonne auf sich?
4) Wie wird der Kampf gegen die Franzosen ausgehen?
Noch fast 200 Seiten hat Levin Zeit, uns diese Fragen zu beantworten und ich bin sicher, dass er es schafft.
Noch auf Gut Goschenwald, eine befestigte Anlage, erfahren wir, dass die nette Benedicte im Kloster als Novizin sich noch nicht in den Fängen der allein selig machenden Kirche befindet. Der sehr liebeshungrige Förster Wilderich macht Benedicte einen Heiratsantrag. Die Schöne ist völlig verunsichert, denn sie fühlt sich auf irgendeine Art schuldig, hat aber nicht Gelegenheit sich mit dem Edelförster auszusprechen. Denn wie es der Zufall will, versucht ein bösartiger französischer General seine Geliebte Marcelline auf Goschenwald in Sicherheit zu bringen. Die impulsive Marcelline entdeckt völlig unerwartet in der sympathischen Benedicte ihre Todfeindin, die sie für eine Verbrecherin hält. Es kommt zu einer Belagerung der wehrhaften Gutsanlage durch die habsburgischen Truppen. Der Erzherzog erreicht eine friedliche Übergabe und willigt ein, dass Marcelline ihre Gefangene Benedicte zum Prozess nach Frankfurt, das sich noch in Hand der Franzosen befindet, abführen darf.
Der Rebellenführer Wilderich erfährt zu spät von diesem Tausch, erreicht aber, dass der Erzherzog einen Brief an den Schultheiß von Frankfurt sendet, der von Wilderich selbst übergeben werden soll, in der Hoffnung, dass so der Fall “Benedicte“ rechtlich fair untersucht wird. Zusätzlich erhält er noch einen Stapel Briefe, deren Inhalt ihm zunächst unbekannt bleibt.
Wilderich gibt sich als frz. Soldat aus, um Frankfurt und Umgebung unerkannt betreten zu können. Er wird aber als Spion verdächtigt und in Haft genommen. Trotzdem schafft es der unglückliche Wilderich durch einen Trick ein Gespräch mit dem Schultheiß zu erreichen. Dabei stellt sich heraus, dass Marcelline, die Geliebte des Generals, seit längerem mit dem Schultheiß verheiratet ist und der Alte zudem der Vater Benedictes ist. Sie ist seine Tochter aus erster Ehe. Doch das ist immer noch nicht alles: Der 4jährige Knabe, der sich in der Obhut Wilderich befindet, ist der Sohn Marcellines und wahrscheinlich auch der des Schultheiß. Somit ist der Knabe der Stiefbruder Benedictes. Marcelline hatte alles versucht, den Jungen zum einzigen rechtmäßigen Erben erklären zu lassen. Um das zu erreichen, beschuldigte sie Benedicte mehrerer Vergehen. Als plötzlich der Junge verschwindet, wird Benedicte beschuldigt, ihn entführt und sogar ermordet zu haben.
Das Verhältnis Marcellines zum General begann 1792, währte also schon 4 Jahre (Armer Schultheiß!). Wilderich war, wie die mitgenommen Briefe beweisen, im Besitz der Liebesbriefe, die die Beziehung der Ehebrecherin Marcelline mit dem General belegen. Tatsächlich hatte der General die Entführung veranlasst, um Marcelline aus Mutterliebe später zu sich nach Frankreich zu locken, wo sich der Junge ja befinden sollte. Zusätzlich bezichtigt der General den Schultheiß des Landesverrates, damit Marcelline keine Möglichkeit mehr sieht, zu ihrem Schultheiß-Ehemann zurückzukehren. Marcelline weigert sich jedoch, dem General nach der wahrscheinlichen Niederlage im Kampf gegen die Habsburger nach Frankreich zu folgen, will aber unbedingt zu ihrem Sohn.
Wilderich deckt die Zusammenhänge auf und verspricht, den Jungen zur intriganten Mutter zurückzubringen. Man vertraut ihm und er darf Frankfurt verlassen. Auf seinem Ritt zurück in den Spessart wird er fast Opfer marodierender Franzosen. Letztlich schafft er es aber, sein Pflegekind Leopold zur Mutter nach Frankfurt zu bringen. Trotzdem versucht der General, Wilderich erneut vors Kriegsgericht zu zerren. Bei so viel Niedertracht ist sogar Marcelline entsetzt und Benedicte wirbt gleichzeitig um die Hand Wilderichs, dem sie den Beweis ihrer Unschuld zu verdanken hat. Als Deus ex machina tauchen nun die Habsburger auf und besetzen Frankfurt. Im Gerichtssaal, im Römer, werden sowohl der Schultheiß als auch Wilderich befreit. Der Erzherzog, vom Mut und Edelmut des Försters überwältigt, möchte den Förster zum Offizier in seiner Armee machen, doch Wilderich will lieber eine glückliche Ehe mit Benedicte im Spessart führen und Förster bleiben. Der böse General ist wohl geflohen, aber die historisch Informierten wissen ja, dass die Franzosen wiederkehren werden und noch 16 Jahre bleiben, bis Waterloo dem Spuk ein Ende macht.
Nach dem alles so glücklich endet, wäre es nun an der Zeit, den Roman „Der Kampf im Spessart“ als Drehbuch umzuarbeiten und als Serie im Vorabendprogramm zu sender. Was bei Rosamunde Pilcher möglich ist, sollte doch erst recht bei Levin Schücking kein Problem sein!
Und wir, die Droste – Fans, wissen auch, was wir an unserer Annette haben!
Das neue Jahr lächelt schon.
Wolfgang Schwarz