Annette von Droste-Hülshoff III

Heinrich Straube, eine Kurzbiographie:

In Göttingen unter Genieverdacht, in Kassel im Sauertopf gelandet

Quelle: Karl Schulte Kemminghausen, Heinrich Straube, Münster 1958

Vergessen! Selbst Casseläner Urgewächse können sich nicht an Heinrich Straube erinnern, obwohl er doch 53 Jahre einer der Ihren war.

Heinrich Christoph Straube erblickte am 2.Januar 1794 in Cassel das matte Licht der nordhessischen Welt. Sein Vater war der Hof-Hospital-Vogt Bernhard Straube, der angeblich einen hohen Lotteriegewinn eingestrichen hatte und zusätzlich noch die gute Susanne Moillet heiratete, die 30.000 Taler mit in die Ehe einbrachte. Ob diese vermögende Familie trotzdem über ihre Verhältnisse lebte, ist nicht bekannt. Jedenfalls musste der Hof-Hospital-Vogt 1813 Bankrott anmelden.


 
Als 17Jähriger nimmt Heini sein Studium der Bergwissenschaften in Clausthal auf. Dort freundet er sich mit August von Haxthausen an. Beide finden in und neben dem technisch-naturwissenschaftlichen Studium wenig Zerstreuung und flüchten 1813 nach Göttingen, um sich zu amüsieren und eine Studentenzeitschrift zu gründen. Beide beziehen eine gemeinsame Studentenbude, die Heinrich allerdings wegen des Konkurses der Eltern bald verlassen muss. August sammelt für den Freund ein Stipendium zusammen und Heinrich kehrt aus Kassel an die spätere Elite-Universität zurück. Heinrich umgibt sich mit dem Ruf des Genialen und nach nur 2 Semestern Jura-Studium macht er seinen Doktor der Rechtswissenschaft. Vor allem August verbreitet  dessen Ruf als genialen Poeten, der sich durchaus mit Uhland oder Körner messen kann. Auch Heinrich Heine ist von seinem messerscharfen Verstand und seiner Faulheit fasziniert und freut sich, ihn seinen Freund nennen zu dürfen. Weniger begeistert von Heini, seinem Kasseler Mitbürger, ist allerdings der erfolgreiche Märchenonkel Wilhelm Grimm. So schreibt er 1817 über seinen Kommilitonen in einem Brief an Achim von Armin: „ Von hier ist ein gewisser Straube dabei, ein kleiner grundhässlicher Kerl, der ständig lacht, dem aber jeder Mann gut ist … was der von sich gibt, ist noch sehr verworren … wahrscheinlich verderben sie ihn durch zu große Bewunderung“ (Kemminghausen, S. 10).  Möglicherweise stecken hinter diesem vernichtenden Urteil auch Neid- und Konkurrenzgefühle, vielleicht auch eine Erklärung für die negative Kommentierung der Droste durch Wilhelm Grimm. Mir scheint, dass Grimm vom Talent und von der Person Annette von Droste-Hülshoff durchaus angetan war, ihr aber ihre Zuneigung für Straube nicht verzieh und er zudem ihr eine poetische Überlegenheit nicht zugestehen wollte. Nur ein Jahr nach der sog. „Bökendorf-Affäre“ wurde Straube 1821 in Kassel als Anwalt zugelassen. Weder die Brüder Grimm noch Straube versuchten, obwohl sie nicht weit auseinander wohnten, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Gänzlich brach die Beziehung ab, als der „sauertöpferische“ Straube 1824 die Tochter des kurfürstlichen Mundschenks Johanna Regenbogen (1799 – 1872) heiratete.

Erfreulicher gestaltete sich dagegen das Verhältnis Straube – Heinrich Heine. Dieser besuchte Straube häufig in Kassel und nannte den alten Kameraden ironisch-liebevoll seinen „Lausengel“ (Kemminghausen S.14). Heinrich Heine war 1821 wegen einer Duellforderung der Uni verwiesen worden und weilte vorübergehend in Hamburg. Dort verfasste er ein lästerliches Gedicht über die Hamburger Wichtigtuer und schickte dieses Straube.
 
Hier die erste Strophe:

                                  Ich lache ob den Gimpeln und den Laffen
                                  Die mich anglotzen und lauwarm nüchtern,
                                  Ich lache ob den kalten Bocksgesichtern,
                                  Die hämisch mich beschnüffeln und begaffen.
 
Am 4. September 1824 berichtet Heine seinem Freund Christiani von seinem Besuch bei Straube in Kassel. Er hat bei dieser Gelegenheit auch ein Gedicht im Stile Straubes verfasst. Vielleicht ist mit dem „Liebchen“ die Droste gemeint:

                                  Sag, wo ist dein schönes Liebchen,
                                  Das Du einst so schön besungen,
                                  Als die schmerzlich süßen Flammen
                                  Wunderbar Dein Herz durchdrungen?
      
                                  Längst hat Liebchen mich verlassen,
                                  Und das Herz ist kalt und trübe
                                  Und dies Büchlein ist die Urne
                                  Mit der Asche meiner Liebe …

1825 trifft Heine beim Besuch in Kassel auch August von Haxthausen bei Straube.
August bekommt sein Fett ab: „ Haxthausen ist ganz versauert, ein Landjunker …  Straube ist dort kurfürstlich-hessischer Prokurator und verheiratet und ebenfalls versauert“ (S. 17).

Am 31. Dezember 1847 verabschiedet sich Heinrich Straube von Kassel und seinen Freunden für immer. Sophie von Haxthausen schreibt zum Tode Straubes ihrem Bruder August: „Der gute Straube! Es tut mir doch so leid, dass wir ihn so wenig sahen.“( S. 18) Von dem angeblichen Genie Heinrich Straube ist nicht mehr die Rede.
 
Kemminghausen zitiert aus dem handgeschriebenen Nachlass drei Gedichte Straubes. Hier kurze Auszüge:

                    Dort steht ein Baum im grünen Wald,
                    Dran sind viele Blätter zu zählen.
                    Und kannst du nennen die Zahl alsbald,
                    Will ich ,Liebster, mit dir mich vermählen.

Der Liebste weiß natürlich die Antwort nicht und das Mädchen macht sich über ihn lustig, dass er überhaupt versucht, auf diese Wette einzugehen. Sie betont, dass Liebe aus tiefem Grund erwächst und ihr Herz so voll davon ist, dass noch so viele Blätter ihre Liebe nicht aufwiegen könnten. Liebe soll, so der Schluss, dauerhaften Spaß für Beide bringen.
 
Im zweiten Gedicht denkt das lyrische Ich romantisch verklärt vor dem Einschlafen an die ferne Geliebte und hofft, dass diese ebenfalls sich nach ihm sehnt:

                    …O träum dann vom Geliebten süß die Nacht
                    Und lieb ihn treu, wenn du bist aufgewacht!
             
Der Wunsch, der leise Zweifel, verleiht dem Gedicht Humor, nicht unähnlich manchen Heinrich-Heine-Gedichten.

Im dritten Gedicht nimmt das lyrische Ich seine erotischen Phantasien mit in seine Träume.

                     Eh`ich meine Augen schließe,
                     Da erscheint mir noch ihr Bild
                     Dass mit jedem Wunsch ich grüße,
                     Dass so lieblich freundlich mild.
                     .
                     .
                     .
                     Und berührt das holde Wesen
                     Mich mit Gliedern luftig zart,
                     Bin von aller Not genesen
                     Auf so wunderbare Art.
        
Der Traum, so auch die anderen Strophen, erfüllt vorübergehend die Liebessehnsüchte, doch mit dem Erwachen kehren die Wünsche und auch die Zweifel zurück.

Ob die Gedichte sich auf Droste beziehen oder einer Geliebten aus Kassel gelten, wissen wir nicht. Eines scheint allerdings gesichert, dass Straube kein Kostverächter war und mehrere Liebesbeziehungen hatte. Da Wilhelm Grimm wahrscheinlich nicht unrecht hatte, dass Straube nicht gerade attraktiv war, so ist anzunehmen, dass Heinrichs Ego geradezu nach Liebschaften lechzte, um weibliche Anerkennung rang, galt es doch, den männlichen Konkurrenten zu zeigen, was für ein toller Hecht
er doch wirklich sei.

Wolfgang Schwarz, mehr als 175 Jahre nach Heinrichs Ableben