Annette von Droste-Hülshoff II

Die Judenbuche
Textwiedergabe

Friedrich Mergel, geb. 1738 im Dorfe B. (Bellersen) ist die tragische Hauptfigur oder wenn man so will, der Bösewicht der Novelle „Die Judenbuche“. Sie ist das epische Hauptwerk der biedermeierisch-romantischen Dichterin. Die Geschichte geht auf einen tatsächlichen Kriminalfall in Ostwestfalen zurück. Der aktenkundliche Name des Helden ist Johannes Winkelhahne und er wurde tatsächlich 1763 in Bellersen im Weserbergland geboren. Das Dorf gehört zum Amtsbezirk Bökendorf, in dem Drostes Großvater die richterliche Gewalt ausübte und er gewährte der Enkelin Einsicht in die Gerichtsakten. Bereits Anfang der 20ziger Jahre gibt es Aufzeichnungen von Droste zu diesem Fall. 1842 wird die Novelle der erste große literarische Erfolg der Dichterin.

Das Dorf Bellersen war früher berüchtigt wegen seiner zahlreichen Holzfrevler, so bezeichnete man Holzfäller, die illegal Bäume im Forst fällten und weiter verkauften. Friedrich Mergels Vater ist ein berüchtigter Säufer, der eines Tages nach einem Saufgelage tot im Wald aufgefunden wird. Die Mutter Friedrichs, Margret Semmler. galt in jungen Jahren als Dorfschönheit und entschließt sich in offensichtlicher Kurzschlusspanik mit über 40 Jahren den Saufbruder Johannes Mergel zu heiraten. Margrets Bruder Simon ist offenbar ein Kleinkrimineller, der sich aber um den Halbwaisen Friederich kümmern will und ihn als Erben einsetzt. Der Mutter schwant zwar Böses, denn sie weiß über die Holzfrevlergeschäfte des Bruders Bescheid. Sie ist allerdings der Meinung, dass der Wald, quasi als Gottesgeschenk, allen gehöre und sich dementsprechend auch alle, unabhängig von Stand und Besitztümern, von ihm bedienen dürften. Der Knabe Friedrich Mergel ist ein tüchtiger Junge, der von seinem Onkel zunächst als Schäfer und Gelegenheitsarbeiter eingesetzt wird. Sein Lohn ist der Mutter eine willkommene finanzielle Unterstützung. Friedrich ist im Dorf angesehen und die kessen Mädchen bewundern den schönen Jüngling. So wird Friedrich mit der Zeit eitel, benötigt immer mehr Geld und macht Schulden. Eines Nachts sind die Holzfrevler, die sog. Blaukittel, auf ihrem größten Coup unterwegs und Friedrich hütet währenddessen die Kühe. Die Förster hatten von der Aktion der Blaukittel Wind bekommen und versuchten, die Holzfrevler zu stellen. Der Oberförster Brandes verliert bei der Aktion den Kontakt zu den übrigen Ordnungshütern, trifft jedoch auf einer Weide im Wald den Buben Friederich und will von diesem wissen, ob er die  Kollegen gesehen habe und in welche Richtung die sich begeben hätten. Die Ausfragung erfolgt in einem so arroganten Ton, dass Friedrich dem Aufschneider die falsche Fährte weist. Der Förster läuft so den Blaukitteln in die Arme und wird von diesen erschlagen. Friedrich hat ein schlechtes Gewissen wegen seiner Mitschuld und da auch der ermittelnde Amtschreiber Verdacht schöpft, will Friedrich die Beichte ablegen, was ihm aber der Onkel untersagt.

Über die genauen Zusammenhänge schweigt sich die allwissende Erzählerin aus, insofern sind wir auf unsere eigenen Schlussfolgerungen angewiesen.
Da Friederich für die Tatzeit über ein Alibi verfügt, wird seine Spur nicht weiter verfolgt. Friedrich selbst vermutet seinen Onkel als Täter.
Dies Erlebnis war wohl auch ein Grund für einen Charakterwandel des Jungen, " er gewöhnte sich, die innere Schande der äußeren vorzuziehen. Man darf nur sagen, er gewöhnte sich an zu prunken, während seine Mutter darbte ".  Die Erzählerin durchschaut also seine Doppel-gesichtigkeit und konstatiert einerseits wachsendes Ansehen und andererseits Angeberei, List, Tücke und Rohheit.

VierJahre später: Friedrich hat seinen leicht behinderten Cousin Johannes zu seinem Knecht gemacht. Der Prahlhans Friedrich hat einen großen Auftritt als Tänzer auf einer Dorfhochzeit. Der Not leidende Johannes Niemand wird von Kindern als Butterdieb beschimpft. Friedrich ohrfeigt Johannes für sein Vergehen und wenig später wird Friedrich öffentlich von dem jüdischen Geldverleiher Aaron lauthals angemahnt, endlich seine Schulden zu bezahlen. Von dem Kredit hatte sich Friedrich eine prunkvolle Uhr gekauft und mit dieser gerade auf der Hochzeit angegeben. Nach dieser Schmach verschwindet der Schuldner. Auch der Himmel zürnt einige Zeit später. Ein mächtiges Gewitter zieht auf. Die verängstigten Dorfbewohner erfahren, dass der jüdische Pfandleiher erschlagen nahe einer Buche aufgefunden wurde. Natürlich fällt der Verdacht sofort auf Friedrich. Dieser bleibt allerdings, wie auch Johannes Niemand verschwunden, und das für 28 Jahre! Die jüdische Gemeinde erreicht, an der Mordbuche eine hebräische Inschrift anzubringen. Die Autorin übersetzt den Spruch erst am Schluss der Novelle, quasi als Pointe : Wenn du dich diesem Orte nahst, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.

Während der Abwesenheit des vermeintlichen Mörders  erhält der Amtschreiber angeblich ein Schreiben von einem Gerichtspräsidenten, der mitteilt, dass ein jüdischer Verurteilter auch den Mord an dem Pfandleiher gestanden habe. Friedrich Mergel gilt seit dieser Zeit als unschuldig.

Am Weihnachtsabend 1788 taucht im Dorf eine ausgemergelte, behinderte Gestalt auf. Diese gibt sich als der verschollene Johannes Niemand aus. Tatsächlich verbirgt sich aber hinter diesem Schatten-Ich Friedrich Mergel. Das Schatten-Ich erfährt, dass Margrets Bruder, also der Vater des  Johannes, völlig vereinsamt gestorben ist, Friedrichs Mutter in geistiger Umnachtung geendet sei und  dass der Mörder des Juden Aaron ausfindig gemacht wurde. Johannes alias Friedrich kommentiert diese Nachrichten: " Also ganz umsonst … ganz umsonst so viel ausgestanden… Alles hin, alles tot! " Johannes/Friedrich berichtet von seiner Gefangenschaft und Sklaverei in der Türkei und erhält vom Gutsbesitzer eine kleine Rente. Das Schatten-Ich Johannes hält es aber nicht mehr aus und erhängt sich an der Judenbuche. Anhand der Halsnarben identifiziert der Baron von S. die Leiche zum Schrecken aller als Friedrich Mergel. So erfüllt sich die Weissagung des hebräischen Spruches an der Judenbuche.

Auch dieser Kriminalfall zeigt Droste starkes Interesse an Spukgeschichten und Schauerromantik. Das Doppelgängermotiv findet sich z.B.  bei ihr zudem in Geschichten und Gedichten wie „Das Spiegelbild“, „Doppelgänger“. In der „Judenbuche“ ist es der Täuschungsversuch, bei dem Johannes von Friedrich als das andere „Ich“ missbraucht wird. In diesen Gedichten wird das Doppelbödige und Widersprüchliche formuliert:  Zwei Seelen wie Spione sich umschleichen.  Für die Droste ist die eigene wie auch die Widersprüchlichkeit der Menschen ganz allgemein eine nicht zu leugnende Tatsache. Das Gute und Böse, das Schöne und Hässliche, das Heile und Gebrochene, Glück und Leid, das Mutige und das Ängstliche fließt in uns, wirbelt uns durcheinander, ohne dass wir verstehen, was mit uns passiert, wie Evolution, Familiengeschichte und persönliches Schicksal uns zu einem unbekannten „Ich“ geformt haben.

                        
Wolfgang Schwarz, unter den Nebelschwaden des Oktobers

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