(....Fortsetzung zu den Randnotizen „Herrn und Frau Thomas Mann“):

2.Versuch: Thomas Mann, Wälsungenblut, Das Vorbild und die Folgen

Vorspiel: Richard Wagner, Die Walküre

Langeweile in Walhalla, die Götter mischen sich ein ins irdische Leben. Die Schicksalsmächte sind erwacht, die Töne wogen, Streicher und Holzbläser künden göttliche Leichtfertigkeit und menschliche Schwermut, Ängste und Fluchtbewegungen.

Das böse Erbe der Nibelungen, der Schatz, weckt die Gier der Goldfinger und die Abenteuerlust der Helden - alles Folgen göttlicher Unzulänglichkeiten. Welch ein Stoff für Richard Wagner! Siegmund und Sieglinde werden zu Tätern und sind doch gleichzeitig Opfer.

Siegmund hetzt durch die nordischen Wälder, trifft auf seinem beschwerlichen Weg ausgerechnet auf Hundings Behausung, Zufall oder göttliche Fügung? Dort waltet die züchtige Hausfrau Sieglinde, gewaltsam entführt und von Hunding zur Ehe gezwungen. Sieglinde ein mitfühlendes Herz, päppelt den entkräfteten Siegmund, da noch ein Namenloser, auf. Siegmund von so viel Gastfreundschaft überrascht, beseelt und neugierig, fragt er die schöne Maid:

Das Aug´erfreut

Des Sehens selige Lust –

Wer ist´s, der so mir es labt?

Stabreimer: Richard Wagner

 

 

 

1.Aufzug, Die Walküre

Die Wunderbare gibt sich als Hundings Weib zu erkennen. O Schreck! Der unerwünschte Gatte kehrt heim. Der germanische Tugendwächter gewährt dem Umhergetriebenen eine Nacht Unterkunft, staunt gleichzeitig über die Ähnlichkeit der Beiden und verlangt, dass der Unbekannte sich zu erkennen gibt. Es folgt Siegmunds Offenbarung, er ist der Sohn des Wälsen Wolfe. Der alliterierende Vater ist ein großer Feind des Gastgebers, doch Gastfreundschaft ist einem Germanen heilig, wenn auch nur für eine Nacht.

Dann erkennen Siegmund und Sieglinde, dass sie gewaltsam getrennte Zwillingsgeschwister sind. Von den Göttern in die Irre geführt, verspüren sie das gegenseitige Verlangen. Siegmund will Sieglinde und sie will ihn. Die Libido ist also Folge ihrer genetischer Prägung.

Ein Minnetraum

Gemahnt auch mich

In heißem Sehnen.

Aus ihrer Liebe wird später Siegfried, der Drachentöter. Zuvor streiten sich jedoch zwei Göttinnen und Wotan wird von der Gattin in die Pflicht genommen. Doch vor den Kämpfen und Intrigen zählen nur die stabreimenden Verse Siegmunds

Braut und Schwester

Bist du dem Bruder –

So blühe denn Wälsungen-Blut

 

Thomas Mann, Die Erzählungen Bd. 1, Frankfurt 1975, Wälsungenblut S.289-317

1. Aufzug, die Mann'sche Novelle

Zum gemeinsamen Mittagessen der steinreichen Familie Aarenhold treffen die Familienmitglieder sich mit Sieglinds Verlobten „von Beckerath“. Die Zwillingsgeschwister erscheinen Hand in Hand als letzte. Sie verspotten mit scharfer Zunge den Verlobten. Dieser erträgt die Ironie, da er den Spott nicht als bösartig ansieht. Dem lesenden Beobachter fällt auf, dass die Zwillinge den Vater aufgrund seiner kleinbürgerlichen Herkunft verachten. Ihre herablassende Art kontert der väterliche Aufsteiger mit den Worten: „Ich habe die Welt zwingen müssen, mich anzuerkennen“ (S. 295).

Szenenwechsel:

Die Geschwister bereiten sich auf den Besuch der Oper „Die Walküre“ vor. Siegmund ist sehr penibel und eitel, künstlerisch aber völlig untalentiert (natürlich im Gegensatz zum Autor). Sieglind wiederholt des öfteren, dass sie ihren Verlobten nicht liebe (S.299). Auch wird ihre knabenhaft erotische Ausstrahlung betont: „Sie hatte einen alabasteren Busen“ (S. 303). In inniger Umarmung flüstern sie einander zu: „Du bist wie ich“ (S.311) – Liebe kann also auch gemeinsame Selbstliebe sein.

Betört von Siegmunds Duft, getrieben von innigem Verlangen gibt Sieglind dem heftigen Drängen des Bruders nach. Das Ganze spielt sich auf einem Bärenfellteppich ab. Befriedigt stellt Siegmund spottend an die Adresse „von Beckerath“ fest: „dankbar soll er uns sein. Er wird ein minder triviales Dasein führen, von nun an.“ (S. 312)

Nachspiel

In der Novelle, eine Kopie der Wagner-Oper, sind die Bezüge zu den Pringsheim-Zwillingen Katia und Klaus nicht zu übersehen (Beschreibung des Äußeren und die gegenseitige Innigkeit). Vor allem das Ambiente der schwiegerelterlichen Villa in der Arcisstr. findet sich detailgetreu wiedergegeben. Die Handlung ist auch in ihren Konsequenzen der „Walküre“ nachgebildet. Von Beckerath befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Thomas Mann während seiner Verlobungszeit.

Hedwig Pringsheim und Katia nahmen das Manuskript des „Wälsungenbluts“ zunächst ohne große Einwände zur Kenntnis. Erst nach der sog. „Flüsterkampagne“ (Peter von Mendelsohn, Nachbemerkungen zu Thomas Mann, Frankfurt 1982, S. 49) regte sich der Zorn in der Familie, insbesondere beim Vater Alfred. Schwager Klaus lauert Tommy am Bahnhof auf, als dieser von einer Lesereise nach München zurückkehrt und fordert ihn auf, ihm ins „Pringsheimische Palais“ zu folgen. Aufgrund des folgenden Donnerwetters zieht der Jungautor die Druckerlaubnis zurück.

Mit dem Wälsungenblut wird offensichtlich in der Novelle nicht nur ein mythologisches Ereignis beschrieben, sondern auch eine genetische Vorprogrammierung in den „Es-Strukturen“. Schließlich kannten nicht nur die nordischen Götter und Halbgötter dieses Phänomen, sondern auch die alten Ägypter propagierten aus machtdynastischen Überlegungen die Geschwisterehe. Tiefenpsychologen kennen sicherlich auch hinreichende Erklärungsmodelle. Sexualforscher haben sich bisher eher mit Untersuchungen zurückgehalten.

Und wir als Augenzeugen? - Wir sollten uns doch wenigstens den Spaß gönnen, einer Aufführung der „Walküre“ in Bayreuth beizuwohnen, aber Thomas Manns Novelle können wir uns, ohne ein schlechtes Bildungsgewissen zu haben, ruhig schenken.

Wolfgang Schwarz, 27.01.2015

(für Interessierte: Fortsetzung folgt…...)