Annette von Droste-Hülshoff IV

 

Die Bökendorf -Affäre

Nette und Heini

 

Während junge Frauen zu gegebener Zeit ans Heiraten denken, muss sich Annette in Verzicht üben und sich der Hoffnungslosigkeit ausliefern. Sie konnte als weibliche Nachgeborene nicht mit einer standesgemäßen Erbschaft rechnen, zudem verkörperte sie nicht das Frauen- und Mutterideal ihrer Zeit. Sie war als 18Jährige zu häufig krank, als dass künftige Familiengründer auf erfolgreiche Geburten hoffen durften. Insider wussten außerdem, dass sie häufig depressiv verstimmt war und ihre kokette, kluge und selbst bestimmte Art kam bei den geistig armen und selbstherrlichen Jungadeligen auch nicht gerade gut an. Ihre literarischen Fähigkeiten riefen häufig bei kulturbeflissenen Männern Neidgefühle hervor, während „Mann“ ihr musikalisches Talent gerade noch hätte verkraften können.

 

Nachdem Annette Heinrich Straube mehrmals in Bökendorf begegnet war und sie von seinem Äußeren wenig angetan war, spürte sie allmählich doch immer mehr eine geistige Nähe zu dem Allrounder. 1819 war es dann soweit, dass sie von seinen Gedanken fasziniert und verwandtschaftlich berührt wurde. In den geistigen und emotionalen Übereinstimmungen entdeckten sie eine gemeinsame Besonderheit und Außenseitersituation. Heini verstand es, Frauen von seinen empathischen Fähigkeiten zu überzeugen. Er akzeptierte Nettes Klugheit, Kreativität und Selbstbewusstsein.

Studierende Hamburger Kaufmannssöhne zeichneten sich damals wie heute durch ihre Beobachtungsgabe aus, so auch der wohlhabende Friedrich Beneke, der häufig auf dem Bökerhof weilte. Er charakterisiert Annette wie folgt: Sie ist „ gescheit, talentvoll, witzig und gutmütig, dazu eigensinnig, gebieterisch, fast männlich, mit mehr Verstand als Gemüt.“ (Barbara Beuys, Blamieren mag ich mich nicht. München 2004, S.140). In seinem Tagebuch beschreibt er auch ihre äußere Erscheinung:  „eine sehr feine, kleine Figur, sehr stark blond, ein hübsches Gesicht, ein Paar bedeutende blaugraue Augen“ (ebda. S.141). So erleben wir ja auch die junge Dichterin in der liebevoll gestalteten Porträtdarstellung von Schwester Jenny aus dem Jahre 1820.

Viele junge Männer waren von Nette fasziniert, so auch Wilhelm Grimm, der sie später verdammte, in besseren Zeiten des Miteinanders sie aber sehr schätzte, so dass die freizügige Nette ihm sogar eine Locke ihrer blonden Haartracht schenkte, was zu damaliger Zeit als Liebesbeweis galt und zumindest  Küsse erlaubte. Auf dem Bökerhof war das daher nichts Außergewöhnliches, vorzugsweise versteckten sich die Paare für den Austausch von Zärtlichkeiten hinter der Taxuswand, um nicht gesehen zu werden (Dazu später mehr).

Nette genoss offensichtlich die allgemeine Bewunderung und war selbst über sich verwundert, dass sie so starke Gefühle für Heini in sich trug, obwohl er doch als „Mannsbild“ mit den anderen Verehrern nicht mithalten konnte. Der meditative, emotionale, zumindest momentane Höhenflug war für die Droste eine elementare Erfahrung nach der sie sich später oft zurücksehnte. Aber schon beim spielerischen Aufeinandertreffen der jungen Leute hatte Heinrich häufig Anlass zur Eifersucht.

Annettes widersprüchliche Befindlichkeit lässt sich möglicherweise auch anhand ihres Novellenfragmentes „Ledwina“ aus dem Jahr 1819 erkennen, in dem die Hauptfigur offensichtlich Charakterzüge der Autorin besitzt. Anfangs spaziert die Heldin am Ufer eines Flusses, die junge Gestalt „ sie war so farblos wie eine Schneeblume und selbst ihre lieben Augen waren wie ein Paar verblichene Vergissmeinnicht“(Gesammelte Werke S.979). Sie fühlte sich müde, krank, dem Tode nah und spürte die mystische Anziehungskraft des Wassers, durchwatete die Ufergestade, als sie ihre nassen Kleider spürt, erschreckt sie vor sich selbst und flüchtet auf die nahe Heerstraße.

Ledwina leidet an Schlafstörungen und Albträumen, in diesen Visionen begegnet sie den Untoten. Ihre depressive Grundstimmung ist für den Leser unzweifelhaft. Am Schluss des Fragmentes formuliert Ledwina ihre Gasamtsituation: „Ich bin so ungenügsam und habe so wenig Sinn für fremde Ansichten; das ist mein großer Fehler.“ Dies hört sich wie eine Selbstkritik der Autorin an und macht ihre positiven Gefühle für Heinrich verständlich: Sie und der Kasseler teilen Ansichten und Schlussfolgerungen ihrer Lebenssituation und das löst bei Beiden so heftige Emotionen aus.

Dessen ungeachtet beurteilt die unmittelbare Umwelt ihre Beziehung sehr kritisch. Den Bökendorfern erscheint Heini Straube nicht standesgemäß, auch menschlich gesehen wird er nicht positiv wahrgenommen, gilt als Schürzenjäger mit großen finanziellen Problemen und zudem ist er auch noch Protestant. Dies bewog Stieftante Anna, die als beste Freundin der Nette galt und 4 Jahre jünger als ihre Nichte war, eine Intrige gegen Annette anzuzetteln. Anna von Haxthausen wusste sicherlich von dem Treiben hinter der Taxushecke. Diesen Ort wollte sie für ihren hinterhältigen Plan nutzen.

Die Droste selbst beschreibt das Szenarium 20 Jahre später in ihrem Gedicht „Die Taxuswand“:  

                                  …

                                  Als man gesungen mir

                                  In Weisen, die nun alt

                                  Vorhang am Heiligtume

                                  Mein Paradiestor

                                  …

                                  Denn jenseits weiß ich sie,

                                  Die grüne Gartenbank

                                  Wo ich das Leben früh

                                  Mit glühend Lippen trank

                                    

                                  Du lockst mich wie ein Hafen,

                                  Wo alle Stürme stumm

                                  O schlafen möchte ich, schlafen

                                  Bis meine Zeit herum.

 

Anna v. Haxthausen wusste von dieser Leidenschaft , fürchtete, dass ihre scheinbar beste Freundin ihre Gefühle nicht im Zaume halten könnte und sich zu leicht verführen ließe. Zwei Hauptüberlegungen entwickelte die Haxthausen:

 1. Sie setzte den Protestanten und Frauenschwarm August v. Arnswaldt als Verführer ein      (Übrigens heiratete sie selbst 11 Jahre später diesen Intriganten und Sittenwächter)

2. Anna spielt weiter die beste Freundin und Vertraute der Nette.

Dem falschen August kam der Auftrag wohl nicht ungelegen. Er, der Frauenschwarm, konnte es wohl  nicht ertragen, dass ein unattraktiver Kerl wie Heinrich einen so starken Eindruck auf Annnette machte. Außerdem befreite ihn die vermeintliche Rettungsaktion vom schlechten Gewissen, er handelte quasi im Auftrag der Moral.  Und so kam es zu einer intensiven Begegnung zwischen August und Annette. Gegenüber der Intrigantin Anna beschreibt Annette die elektrisierende Begegnung in einem Brief: Sie habe Straube sehr lieb, „aber wenn Arnswaldt mich nur berührte, so fuhr ich zusammen.“ (Beuys, S.153).

Da der Erfolg des religiösen Casanovas schnell die Runde machte, musste Nette Bökendorf verlassen und kehrte dort erst viele Jahre später zu einem kurzen Besuch zurück. Heinrich Straube wurde postwendend über die Bökendorfvorgänge informiert und  sofort brach er die Beziehung zu Annette ab.

Die beiden Liebenden haben unter dieser Trennung sehr gelitten. Bei Straube ist die nach seinem Tode entdeckte Locke von Nette ein schon erwähnter Beleg. Die Kasselerin Amalie v. Hassenpflug schreibt 1826 in einem Brief an Anna v. Haxthausen, dass sie wisse, wie sehr Heinrich  Annette geliebt habe und dass sie vermute, dass Heinrich in einem Akt der Selbsttröstung und des Trotzes Maria Regenbogen geheiratet habe.

Barbara Beuys vermutet eine letzte Liebesbotschaft der Annette an Heinrich in dem 1841/42 verfassten Gedicht: 

                                   Brennende Liebe

 

                                     Und willst du wissen, warum

                                   So sinnend ich manche Zeit

                                   Mitunter so töricht und dumm

                                   So unverzeihlich zerstreut

                                      ….

                                     Und höre, höre zuletzt,

                                   Dort liegt, da drinnen im Schrein,

                                   Ein Tuch mit Blute benetzt

                                   Das lege ich heimlich hinein.

                                      ….

                                      Er ritzte sich nur an der Scheide,

                                   Als Beeren vom Strauch er mir hieb

                                   Nun hab ich sie alle beide

                                   Sein Blut und meine brennende Liebe.

 

Wenn es stimmt, dass sie dies Bluttuch an einem besonderen Ort aufbewahrte, dann kann dieser Liebesbeweis mit der Locke bei Heinrich durchaus mithalten.

Es war also Liebe bis in den Tod, ein Liebestod im Bewahren des Unvergessenen.

 

Wolfgang Schwarz, im traurigen November

 
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