(...Fortsetzung zu den Randnotizen „Herrn und Frau Thomas Mann“):

Fans und Feinde von Thomas Mann

 

Bei aller Popularität und internationaler Anerkennung hatte Thomas Mann nicht nur begeisterte Anhänger. Sondern aus unterschiedlichen Gründen auch Gegner, Neider und Widersacher. Besonders interessant erscheinen mir in diesem Zusammenhang Personen, die einstmals enge Beziehungen zu dem Romanfürsten unterhielten. Wie schlägt Anerkennung und Zuneigung in Hass oder entschiedene Ablehnung um? Beginnen wir zunächst mit dem Positiven, was sich aber bei genauer Betrachtung als gar nicht so positiv erweist. Als erstes Fan opfer habe ich mir Walter Jens ausgesucht.

 

 

Walter Jens, Philologe, Rhetorik-Professor und Möchtegern-Dichter

 

Im Nachkriegsdeutschland waren aus ideologischen Gründen die Meinungen über Thomas Mann durchaus geteilt. Schuldgefühle über eigene Verstrickungen im Unrechtssystem und Unbelehrbarkeit einerseits und Vorbildfunktion andererseits waren die Motive für so unterschiedliche Wahrnehmungen und Beurteilungen. Natürlich gab es auch Neuerer, die eine engagiert politische Literatur gerade angesichts des moralischen Desasters bevorzugten und auch lieber an eine sprach-experimentelle Literaturströmung wie dem Expressionismus anknüpfen wollten. Für viele war jedoch der Hansestädter eine Identifikationsfigur.

Dazu gehörte auch ein weiterer Hansestädter, der 1923 in Hamburg geborene Walter Jens, der wegen seiner Asthmaerkrankung vom Kriegs-dienst verschont geblieben war. Während seine Altersgenossen zum großen Teil in Russland und an anderen Fronten ihr junges, unbedarftes Leben ließen, studierte Walter Jens erfolgreich in Tübingen. Obwohl Thomas Mann kaum noch in Nazi-Deutschalnd erwähnt werden durfte, schwärmte der junge Altphilologe weiter für den großen Lübecker. Dies bestätigte auch Inge Jens in ihrem bislang letzten Werk: Am Schreibtisch, Reinbek 2013. Sie beschreibt in diesem Werk die Arbeitsgewohnheiten berühmter Dichter, darunter natürlich auch Thomas Mann. Nach ihrer Aussage trug ihr späterer Ehemann während des Krieges ständig die Romane „Die Buddenbrooks“ und den „Zauberberg“ bei sich. Anlässlich seiner Promotion hielt er sogar eine Rede über die deutsche Literatur, die er mit den Worten „auf Wiedersehen Thomas Mann, du großer deutscher Dichter“ (Inge Jens, ebenda S.185)schloss. Dazu gehörte in dieser Zeit wahrlich Mut. Der „frische“ Doktor musste allerdings keine Unannehmlichkeiten wegen seiner Äußerung in kauf nehmen.

Nach dem Krieg wurde Walter Jens in der „Gruppe 47“ aktiv, die sich einer neuen auf demokratischen Grundsätzen beruhenden Literatur verpflichtet fühlte. In den ersten Nachkriegsjahren galt es zunächst die Schrecken des Horrors aufzuarbeiten. Darum bemühte sich auch Jens mit seiner Novelle „Das weiße Taschentuch“(1947), in der es um die Schuld der Mitläufer ging. Die Schuldfrage wurde auch in seinem ersten Roman „Die Welt der Angeklagten“(1952) erneut thematisiert.

Mit dem Roman „Der Mann, der nicht alt werden wollte“ (Reinbek 1955) meinte der Jungautor den Höhepunkt seiner Kriegsbewältigungsliteratur erreicht zu haben, begriff er doch aufgrund der literaturtheoretisch-literarischen Form seinen Romans als eine neue Bewältigungsstrategie. Der Ansatz nimmt die beiden Interessenfelder des Autors auf: Philologie und Poesie.

Um die Aufmerksamkeit des Lesepublikums auf sich zu lenken suchte der Jungakademiker einen gewichtigen Fürsprecher. Das Manuskript seines Romans übersandte der Fan prompt seinem angehimmelten Thomas Mann. Der fast 80jährige Schriftsteller befand sich gerade auf einer Leserreise durch Deutschland und hatte sicherlich andere Sorgen, als sich um das Debüt eines selbstverliebten Philologen zu kümmern. Zur Überraschung der jungen Ehefrau und Mutter Inge Jens antwortete aber Thomas Mann sehr schnell. Das vollständige Antwortschreiben mit den handschriftlichen Korrekturen veröffentlichte sie in ihrem Buch „Am Schreibtisch“ (S.190). Da Inge Jens wusste, dass Katia Mann die Manuskripte ihres Mannes tippte und sie zudem die Handschrift von Frau „Thomas Mann“ kannte, identifizierte sie die Antwort eindeutig als ein Schreiben der Dichterfrau. Das wusste oder interessierte natürlich nicht den Rowohlt-Verlag und dieser warb mit Auszügen aus dem von Thomas Mann unterschriebenen Brief. Dort heißt es u.a. „Unter den Lesestoffen, die mir in letzter Zeit unter die Augen kamen, spielt Ihr Buch entschieden eine herausragende Rolle. Es ist ein merkwürdiges Erzählwerk und als Experiment sehr reizvoll“ (Der Mann, der nicht alt werden wollte, S.199).

Obwohl als Hauptwerk angesehen, war das Buch kein Kassenschlager, so dass erst mit dem Anstieg der Popularitätskurve 8 Jahre später eine Taschenbuchausgabe folgte. Das war´s denn auch!

Der Literaturwissenschaftler Prof. Herbert Kraft hebt die „Polyperspektivik“ des Romans hervor (vgl. Herbert Kraft, Das literarische Werk von Walter Jens, Tübingen 1975, S.51) und spricht auch von einer „Geschichte der Spiegelungen“. Das hört sich interessant an, bedeutet aber nichts weiter als die direkte Wiedergabe von Aussagen der interviewten Kronzeugen (Autor, Er-Erzähler, Hauptfigur, Zeitgenossen äußern sich zum Protagonisten, charakterisieren und erzählen für sie bedeutende Ereignisse) und den verschiedenen Erzählebenen (Innen- und Außensicht, Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion).

Der emeritierte Literaturprofessor Friedrich Jacobs wird zum Nachlassverwalter seines ehemaligen Studenten Wolfgang Bugenhagen bestellt, der sich mit 26 Jahren 1949 das Leben genommen hat (also in einem Alter wie der Autor Walter Jens zu diesem Zeitpunkt). Zum einen möchte der Professor eine Biographie des Selbstmörders verfassen, aber auch die Entwicklungsgeschichte des Hauptwerkes des jungen Selbstmörders nachzeichnen. Nicht zufällig heißt dieses Werk: „Der Mann, der nicht alt werden wollte“. Die ursprünglich geplante Hauptfigur war der italienische Soldat Lorenzi, der im Streit um den Vorrang bei einer von beiden begehrten Geliebten, seinen vorgesetzten Offizier tötete. Diese Idee wird aufgegeben und aus Lorenzi wird Karl Heydenreich. Der Onkel Wolfgang Bugenhagen nimmt für sich in Anspruch, dass er sich eigentlich hinter Heydenreich verberge. Gustav Bugenhagen war in den 20ziger Jahren ein bekannter Schauspieler und Frauenschwarm. Als seine Rauschgiftsucht öffentlich wurde, musste er seine Karriere beenden. Im Laufe des Romans entwickelt sich Heydenreich immer mehr zu einem Alter-Ego Wolfgang Bugenhagens. Diese autobiographische Annäherung offenbart sich durch die vielfältigen Recherchen des Prof. Jacobs. Eine weitere Überprüfung des Realitätsgehaltes ergibt zudem, dass mehrere autobiographische Stationen mit denen des asthmakranken Autors Walter Jens übereinstimmen. Es ergibt sich also eine Folge von Spiegelungen von Lorenzi - Karl Heydenreich – Gustav Bugenhagen – Wolfgang Bugenhagen und letztlich zu Walter Jens. Man könnte somit den Roman auch als einen Recherche-Roman bezeichnen, auch wenn es diese Gattungsbezeichnung offiziell nicht gibt. Hinter den Recherche-Arbeiten, den Charakterstudien und Entwicklungsschritten steht die Frage: Wie schreibe ich eine Biographie? Die Romanhandlung konstruiert sich durch Gespräche mit Informanten und Situationsbeschreibungen. Sieht man von den Mutmaßungen des Recherchierenden ab, fehlt so dem Roman ein konstituierendes Element der Literatur, nämlich das Fiktive. Das vorgelegte Konglomerat ist damit lediglich eine anschauliche, aber ziemlich langweilige Studie über die Mühen des Recherchierens.

So bewegt sich der Roman fast ausschließlich auf der Ebene des Erzählens bei denen Wortwitz und Pointen fehlen, statt interessanter Dialoge gibt es lediglich wenig aufregende Kommentierungen. Als ein großer Wurf kann dieser Roman jedenfalls nicht angesehen werden.

Walter Jens hat zwischen 1960 -2010 ständig auf sich aufmerksam gemacht und sein politisch-ethisches Engagement war durchaus bemerkenswert, aber große Literatur hat er nicht zustande gebracht.

Viele Zeitgenossen empfanden ihn als eitel und selbstgefällig, aber wer ist das nicht, in der heutigen Medienwelt? Nach seinem Tod 2013 ist das öffentliche Interesse an seiner Person offensichtlich stark gesunken. Ein Indiz dafür, dass dies für das literarische Werk schon früher galt, dürfte auch die Tatsache sein, dass die von mir zitierte Abhandlung von Herbert Kraft, die 1975 erschien und die ich nur antiquarisch erhalten konnte, ursprünglich aus dem Zentralarchiv des ZDF stammte und, wie der Stempel „ausgesondert“ verrät, heute nicht mehr gefragt ist.

Meine Nachbemerkung: Bitte, lieber Walter, sei mir nicht böse, im Himmel können wir später deine Probleme und meine Sichtweise noch einmal erörtern, bevor wir uns wieder den schönen Dingen des paradiesischen Lebens zuwenden!


P.S.

Im Kapitel „Wettstreit der Biographen“ hatte ich darauf hingewiesen, dass bei den fast gleichzeitig erschienenen Biographien die jeweils andere Seite die Konkurrenten gar nicht erwähnt. Dies gilt auch noch 10 Jahre später, denn Inge Jens hat 2013 in ihrem Literaturverzeichnis die Biographie von Jüngling/Rossbeck immer noch nicht aufgenommen.

 

(für Interessierte: Fortsetzung folgt in der nächsten Woche an dieser Stelle...)

Wolfgang Schwarz, 18.02.2015

 

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