(...Fortsetzung zu den Randnotizen „Herrn und Frau Thomas Mann“):
Was lange dauert, wird letztlich schlecht: Die Todfeindschaft zwischen Thomas Mann und Theodor Lessing
Auseinandersetzungen, vom Hass genährt, gehen meist unter die Gürtellinie. So auch der Streit zwischen dem überaus erfolgreichen Thomas Mann und dem mittlerweile vergessenen, bis zu seinem Tode verfolgten Autor, Nestbeschmutzer und verfemten Philosophen Theodor Lessing.
Unser Seelendoktor Sigmund Freud würde vielleicht sagen, Hass wuchtet sich aus den tiefsten Tiefen des Es hervor und entzieht sich dabei jeglicher Kontrollmöglichkeit. Bei Lessing lässt sich zudem vermuten, dass Hass und Selbsthass bei ihm zu erhöhter Aktivität geführt haben, so dass er es schaffte, zahlreiche Feinde aus ihren Verstecken zu locken.
Theodor Lessing wurde am 8.2.1872 in der damals noch langweiligen Niedersachsen-Metropole Hannover geboren. Feuilletonisten bringen die monarchistische Provinzhauptstadt mit drei Namen in Verbindung: die Nationalisten mit Hindenburg eigentlich nur Pensionär in Hannover, die Lustmörder mit Haarmann, die Gesellschaftskritischen mit Lessing. Ich möchte allerdings nicht lästerlich erscheinen und deshalb sei noch positiv vermerkt, dass nach dem 2 Weltkrieg es immerhin zwei Hannoveraner in die höchsten Ränge der deutschen Politik geschafft haben: der Russlandversteher Gerhard Schröder und der Selbstbemitleidigte Christian Wulff.
Lessing durchlebte seine Kindheit in zwei irdischen Höllen: dem Elternhaus und der Schule. Der Vater war, wenngleich Arzt, ein großspuriger Nichtsnutz, hochstaplerisch, genusssüchtig, herrisch und zumindest gegenüber seiner Frau, immerhin eine Bankierstochter, gewalttätig. (vgl. Theodor Lessing, Wortmeldungen eines Unerschrockenen, Leipzig/Weimar 1987, S.12). Die Schule langweilte Theo fürchterlich. Offensichtlich war er unterfordert und faul. Der selbstgefällige Schulleiter gab dem hochnäsigen Vater den guten Rat, er solle doch dafür sorgen, dass sein Filius ein einfaches Handwerk erlernen solle, „da er für geistige Betätigungen lebenslang unfähig bleiben wird“ (Wortmeldungen, S. 13). Manche Eltern waren schon damals ungehorsam und setzten alles daran, ihren Sprössling zumindest zum Abitur zu verhelfen, so auch die Lessings. Obwohl er mindestens zweimal sitzen blieb, schaffte er 1893 die Matura. Das hatte er einem verständnisvollen Lehrer zu verdanken, der selbst einmal in Göttingen vor einer Hochschulkarriere als Altphilologe stand, dann aber am städtischen Gymnasium in Hameln landete. Der in die Provinz Verschlagene erkannte Lessings Potential und förderte den widersetzlichen Buben systematisch und behutsam. So durfte sich der Leid-geprüfte als Medizinstudent in Bonn einschreiben. Das Rheintal und der Blick auf die Siebenberge lockten ihn aber nicht und so wechselte er bald nach Freiburg und München. In München studierte er neben Medizin noch Philosophie und Psychologie. 1899 promovierte er mit einem philosophiegeschichtlichen Thema. Seine große Liebe, die adelige Maria Stach (eigentlicher Name von Goltzheim) verschaffte Dr. Lessing eine Lehrerstelle an einer Reformschule auf dem Lande. Aus Dankbarkeit heiratete er zur Jahrhundertwende seine Maria, die sich anfangs auch folgsam zeigte und ihrem Auserwählten zwei Töchter schenkte. Die leicht entflammbare Ehefrau verliebte sich aber bald in einen gar reizvollen Schüler, der viel größer und schöner war als unser Doktor Lessing. Dieser machte sich später als der Schriftsteller Bruno Frank einen Namen, zog aber zuvor mit Maria, noch eine verheiratete Lessing, von dannen. Theodor war todunglücklich und litt lebenslang an dem Trauma des verlassenen Ehemanns. Als entweder Maria von ihm oder Bruno von ihr genug hatte, heiratete Maria den Philosophen Hugo Dingler. Immerhin hielt die Ehe der engagierten Frauenrechtlerin bis zu ihrem Tode 1948.
Der verlassene Theodor wurde zynisch und publizierte eifrig Zeitungsartikel, die oft satirisch getönt waren. Bei einer Faschingsfeier 1907 lernte Theodor seine späteren Wegbereiter Thomas Mann kennen. Da der junge Erfolgsautor Dr. Lessing für gebildet und kultiviert hielt, führte er ihn in seine anspruchsvolle Schwiegereltern – Familie Pringsheim ein. So entwickelte sich zwischen Thomas und Theodor eine freundliche auf gegenseitiger Anerkennung beruhende Beziehung. Wobei Lessing durchaus die berufliche Unterstützung der Pringsheim zu nutzen wusste. Seine Eindrücke von der Faschingsfeier gab er trotzdem preis und schrieb über den eitlen Thomas Mann: „ein feines, blasses Bürgerprinzchen … so eine stille, späte Goldschnittseele“ (vgl. Harprecht, S.169). Mit Unterstützung von Alfred Pringsheim erhielt Lessing einen Lehrauftrag in Philosophie an der Technischen Hochschule in Hannover. In der norddeutschen Einöde vermochte er kaum zu überleben, er verdrängte den Frust dem Schreiben giftiger Zeitungsartikel. Zudem versuchte er auch schriftstellerisch wieder Anschluss an die Münchener Boheme zu finden. Ein Spottartikel richtete sich dabei gegen den angesehenen jüdischen Philosophen Samuel Lublinski.
Katia Mann geht in ihren „Ungeschriebenen Memoiren“ ausführlicher auf die sog. „Lublinski - Affäre“ ein. Lublinski hatte, trotz des anfänglichen Misserfolges der „Buddenbrooks“ den literarischen Wert des Werkes erkannt und mehrfach öffentlich für den Roman geworben. Die völlig überzogene Kritik Lessing an Person und jüdische Geisteshaltung des Gelehrten wurde mit großem Befremden in der Münchener Gesellschaft aufgenommen und viele bezeichneten Lessing als „jüdischen Antisemiten“. Katia Mann bewertete den Artikel als „unverschämt abschreckendes“ Machwerk ( Katia Mann,… S.76). Thomas Mann ärgerte sich vor allem darüber, dass die Familie Pringsheim, die Lessing trotz aller Vorbehalte nachdrücklich gefördert hatte, so tief enttäuscht wurde und der Privatdozent, obwohl selbst jüdischer Herkunft, Lublinski wegen seiner jüdischen Weltsicht lächerlich zu machen versuchte. In seiner Gegenkritik „Doktor Lessing“ (Literarisches Echo, Berlin 1910) kritisierte Thomas Mann zunächst die Selbstgefälligkeit mit der er sich als Alleskönner und –wisser darstelle, obwohl seine literarischen Qualitäten durchaus zu vernachlässigen seien. Er kommentiert Lessings Abhandlung als liederlich, ein “ranziges Geschwätz“ (Thomas Mann, Miszellen, Frankfurt 1968, S. 24). Dann wird er noch persönlicher, lästert über Lessings angeblich unansehnliches Äußere und seinen zwergenhaften Wuchs. Lessing selbst hatte sich ähnlich über Lublinski geäußert, sprach aufgrund dessen geringer Körpergröße von „Gebürtchen“ und hebt seinen „Mangel an körperlichen Liebreiz“ hervor. Thomas Mann kontert, „Wer im Glashaus sitzt…“ (Miszellen, S.23) und steigert sich in eine regelrechte Hasstirade: „Woher nimmt dieser benachteiligte Zwerg, der froh sein sollte, dass ihn die Sonne bescheint, die Lust, das innere Recht zur Aggressivität … sein verfehltes Ich einer erstaunten Leserschaft aufzudrängen“ (ebenda. S. 26). Allerdings muss hier angemerkt werden, dass die noch vorhandenen Fotos Thomas Manns Kritik an der äußerlichen Erscheinung des gelehrten Mannes nicht rechtfertigen. Vernichtend auch seine Kritik an Lessings dichterischen Fähigkeiten: „dieser ewig namenlose Schlucker, dem die Trauben der Dichtung zu hoch hängen“ (S.26). Diese vernichtende Kritik hatte natürlich Folgen und Lessing forderte den Jungstar zum Duell heraus. Thomas Mann lehnte in einem Brief, den er mit seinem Schwiegervater Alfred Pringsheim verfasst hatte, diese Forderung aus psychologischen und rechtlichen Gründen ab. Ein Bekannter warnte Thomas Mann in diesem Zusammenhang allerdings: „Den werden Sie nie wieder los“, womit er wohl sagen wollte, dass auch Theodor Lessing sehr nachtragend sei. Was natürlich auch für Thomas Mann gilt, so bezeichnet er noch 1918 in seinem Tagebuch „die Juden Kerr und Lessing als seine geborenen Feinde“ (Harprecht, S.282). Nach der Veröffentlichung des „Tod in Venedig“ nutzte wiederum Lessing die Gelegenheit, auf die femininen Züge des Autors und seine pädophilen Neigungen hinzuweisen. Sehr ironisch äußert sich Thomas Mann auch 1933 über Lessing: “Muss man denn durchaus ein Dichter sein, wenn man ein Lessing ist?“ (Harprecht, S. 496). Dieses Wortspiel lenkt natürlich mit der Assoziation „Lessing“ die Erinnerung zum großen Klassiker und Aufklärer Lessing hin.
Auf die lebenslange Todfeindschaft anspielend plaudert Katia Mann ein weiteres Geheimnis aus: „ Es gab noch einen anderen Grund, weshalb mein Mann ihn so verächtlich fand. Lessing hatte eine sehr große, blonde, germanische Frau. Eine Adelige, die sich von ihm, als er Hauslehrer in ihrem Hause war, hatte entführen und heiraten lassen. Sie verehrte in ihm das geistige Prinzip. Dann war er Lehrer in Haubinda … und einer ihrer Schüler hatte ein Liebesverhältnis mit ihr. Lessing hat es gewusst und geduldet, wahrscheinlich nicht nur das, er hat sich vielleicht auch daran ergötzt. Deshalb war er „der Elende“ (Katia Mann, S.76f). Tatsächlich beabsichtigte Thomas Mann einen Roman mit dem Titel „Der Elende“ zu schreiben, wobei die Hauptfigur Lessing als Vorlage dienen sollte Die Eheleute konnten also lebenslang ihren Groll gegenüber Theodor Lessing nicht überwinden. Das wiegt um so schwerer, wenn man sich das tragische Schicksal Lessing nach der Machtergreifung der Nazis vergegenwärtigt. Deshalb wird zur Ehrenrettung des mutigen Egomanen ein Nachruf folgen.
(Also, für Interessierte: Fortsetzung folgt in der nächsten Woche an dieser Stelle...)
Wolfgang Schwarz, 12.03.2015