Sándor Márai II

Márais essayistische Betrachtungen des Freundschaftsideals

Sándor Márai vermischt wie viele große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts  (Musil, Joyce, Koeppen u.a.) das Erzählerische mit dem Essayistischen. Das Thema „Freundschaft“ berührt eine elementare Daseinsform des Menschen, eine Sehnsucht, von der Menschen seit Jahrtausenden träumen. Aber auch in der Tierwelt gibt es genügend Beispiele für den Freundschaftskult (z.B. bei Raben, Affen, Hunden und Katzen). Der Mensch ist anthropologisch definiert ein Gruppenwesen und konnte auch nur als ein solches in der Evolution bestehen. Gerade Freundschaften verstärkten zusätzlich die Überlebenschancen. In einer freundschaftlichen Verbindung steht in Gefahrsituationen einer für den anderen ein. Freundschaft schließt zwar nicht Liebe und Erotik aus, doch wesentlicher ist die geistige Übereinstimmung, Achtsamkeit, gemeinsames Freuen und Leiden. Oft erweist sich allerdings auch eine Komplementärfunktion als überaus Erfolg versprechend. So hilft z.B. das Mathe-Ass dem Englisch-Übersteiger und umgekehrt der Anglist dem Mathematiker.

Beim General und Konrad war es scheinbar das Komplementäre, was die Beiden besonders widerstandsfähig machte. Die Beziehung scheiterte erst, als der General Gleichheit ein-forderte, die Konrad lange vorgaukelte, um die scheinbar unverbrüchliche  Freundschaft weiter am Leben zu erhalten. Aufgrund seiner Sozialisation spielte Konrad gesellschaftlich nur eine untergeordnete Rolle und so suchte er seine Selbstbestätigung und sein Glückser-leben in erster Linie in der Musik, im Ästhetischen und wohl auch in der Liebe und definierte so seine eigene Identität. Es war allerdings eine brüchige Form, da Konrad und der General das falsche Gleiche verband und trennte: die Liebe zu Krisztina. Der General war der Ehemann und er liebte sie Besitz ergreifend, während Konrad sie in geistiger und wohl auch in körperlicher Übereinstimmung liebte. Die emotionale Gleichheit stand so im Widerspruch zur institutionellen Ungleichheit.
In seinen Ausführungen zur Männerfreundschaft definiert der General deren Grundlagen: „Zwischen Männern … liegt die tiefe Bedeutung der Freundschaft gerade in der Selbst-losigkeit“ (Glut, S.140). Diese Voraussetzung ist mit dem Auftauchen Krisztinas nicht mehr gegeben. Tragisch dabei, dass Konrad es war, der Krisztina dem Freund vorgestellt hatte.

Der General übernahm, und Konrad traute sich nicht, um die Kluge und Schöne zu kämpfen. Offensichtlich war sich Konrad zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Klaren über seine tiefer gehenden Gefühle und glaubte an die Möglichkeit einer erweiterten Freundschaft zu dritt. Konrad  ignorierte dabei wohl das Besitz ergreifende Bindungsverhalten des Generals. Im Roman erfahren wir früh, dass dies schon für das Kind Hendrik typisch war. Es  war auf „Nini“ als Mutterersatz so fixiert, dass der Knabe bei einer längeren Trennung schwer erkrankte. Diese Verhaltensweise erhob er später zur Freundschaftsnorm, indem er diese auf das Freundschaftsband „Vertrauen“ übertrug: „Das Höchste, das ein Mensch dem anderen geben kann, nämlich das blinde, bedingungslos. leidenschaftliche Vertrauen“ (S.109). Eine solche Forderung kommt einem Besitz ergreifenden Tausch der beiderseitigen Gefühle gleich. In diesem Tauschverhältnis kann eine ménage à trois nicht funktionieren.

Solche Idealisierungen gehen auf platonisch-altgriechische Freundschaftsvorstellungen zurück. Im Gegensatz zu Platon schließt der General aber die Bedeutung des Erotischen gänzlich aus. Damit erhebt er den ideellen Wert der Männerfreundschaft weit über den der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau. So degradiert Márai die „Frau“ zum Störfaktor in einer Männerfreundschaft. Nimmt man den Autor diesbezüglich ernst, hätte der General den beiderseitigen Verzicht auf Krisztina einfordern müssen. Nur so wäre das Ideal der Freundschaft zu retten gewesen.

In seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen „Die vier Jahreszeiten“ formuliert der Autor vorausahnend eine einfache, ironische Lösung:
„Feine Frauen sind frigide Frauen“ (S.226). Mit solchen Frauen ließe sich natürlich eine Dreierfreundschaft realisieren. Leidenschaftliche Frauen gibt es für den reichlich frustrierten Autoren angeblich nur bei weiblichen Wesen außerhalb der Klassen (S.223). Die frauenfeindliche Schlussfolgerung könnte so heißen: Die höheren Gefühle befriedigen Männer unter sich, für die niederen Gefühle suchen sie sich entgegenkommende Frauen.

Ein solches Lebenskonzept steht aber im Gegensatz zu Realität und Sinnstruktur des Romans „Glut“, da die Liebe zwischen Krisztina und Konrad gerade Übereinstimmung und Erhöhung durch die Tragkraft ihrer Liebe im Ästhetischen und Geistigem erleben und umgekehrt das Banale unterliegt zwangsläufig dem Höherwertigen. Der General musste sich daher etwas anderes einfallen lassen. Diese Bindungskraft fand er in einer archaischen Form, in der Jagd, für ihn ein Stammesritual: Jagen ist „die Bereitschaft zu töten, diese verborgene Lust, diese stärkste aller Leidenschaften, dieser Trieb“ (Glut, S.131).  Der General sieht darin eine evolutionär verwurzelte Leidenschaft des Mannes. Er unterstellt auch Konrad diese Gefühle, als er versuchte, ihn zu töten (S.131). Im Roman  wird allerdings deutlich, dass Konrad kein Gefallen an der Jagd findet und er letztlich die Tötungsabsicht aufgibt, weil seine moralischen Empfindungen mächtiger sind als Jagdleidenschaft und rational dunkle Motive. Konrad war eben eine andere Art Mensch, wie Hendriks Vater es schon prognostizierte.
Das archaische Männerbild spukt allerdings auch in Krisztinas Kopf umher. Sie tituliert Konrad als „Feigling“, weil er von der gemeinsam beschlossenen Mordabsicht Abstand genommen hat. Männer dürfen für die Liebe morden, Frauen lassen sich zu solchen barbarischen Praktiken natürlich nicht hinreißen! Aber genug der Spekulationen! 

Der Autor unterscheidet offensichtlich nur zwischen Leidenschaft und Empfindsamkeit, ob dies ein Beitrag zu einer allgemeinen Theorie der „Männerfreundschaft“ sein könnte, bleibt dahingestellt. Was der General als Wahrhaftigkeit versteht, gründet letztlich doch nur auf Illusionen. So jedenfalls stehen die Chancen auf eine bessere Welt sehr schlecht und dem Menschen, ob Mann oder Frau, kann wohl auch nicht mehr geholfen werden. Trotzdem: Danke für den Versuch, Sàndor!          


Wolfgang Schwarz,                       Kein Aprilscherz 2017



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