Filmclub

Briefe aus dem Jenseits (The lost Moment), ein Film Noir mit Susan Hayward und Robert Cunnings

Mit einem gewissen Entzücken, leichtem Erschaudern sahen wir den 1946 unter der Regie von Walter Wanger (eigentlich Feuchtwanger) gedrehten Film „The lost moment“.

Unser Entzücken bewirkte vor allem die Hollywood-Schönheit Susan Hayward, die die zwielichtige Miss Tina verkörperte. Sie ist einmal die elegante, strenge und emotionslose, leicht stupsnäsige Haushälterin und zum anderen die schizophrene, wieder auferstandene, verführerische  Juliana Borderaux, also die jugendliche Tante, die einst die Geliebte des großen romantischen Dichters Jeffrey Ashton war.

 

Das Erschaudern verdanken wir genau dieser Frau, die jetzt mit über 100 Jahren noch lebt und verbittert ihre Umwelt schikaniert. Die einst Schöne verbirgt ihr Gesicht und misstraut allen. Unser Grauen hielt sich allerdings in Grenzen und über manche Szenen und Effekte mussten wir lachen  (In den letzten 70 Jahren haben sich Cineasten eben an ganz andere Schrecknisse gewöhnt!).

Den Drehbuchautoren diente Henry James Roman „Aspern Schriften“ als Vorlage. Das Hauptthema dieses Werkes ist die verzweifelte Suche eines jungen, ehrgeizigen Verlegers nach dem verschollenen Briefwechsel von Jeffrey Ashton und Juliana Bordereau. Im Roman ist dieses Motiv von Anfang bis Ende handlungstragend und damit verbunden die Beziehung zwischen dem raffiniert taktierenden Verleger und der ältlichen Nichte Tina. Der amerikanische Verleger versucht mit allen Tricks die naiv- ehrliche Tina zu seiner Komplizin zu machen, um an die versteckten Briefe zu gelangen. Die alte Großtante Juliana durchschaut die Manöver des smarten Verlegers und versucht, Tina als Gegenleistung  für den Zugang zum Nachlass an den jungen Herzensbrecher zu binden.

Im Film übernimmt die Oscarpreisträgerin und leidenschaftliche Gran Dame Susan Hayward die Hauptrolle. Sie spielt die Verführerin, der selbst die bösartige Alte nicht gewachsen ist und diese versucht, auch den Verleger auf ihre Seite zu ziehen. Im Roman dagegen ist Juliana die Beschützerin der Nichte. Ihr will sie die völlig überhöhte Miete für die Räumlichkeiten der Villa zugutekommen lassen und verfügt im Testament, dass der Briefwechsel allein Familienangehörigen zugänglich sein darf. Dies bedeutet für unseren Verleger, dass er an die Papiere nur gelangen kann, wenn er die viel ältere Tina heiraten würde. Während im Originaltext der Nachlassjäger noch mit seinem schlechten Gewissen ringt, verbrennt Tina, die merkt, dass der viel jüngere  Verleger und Ich-Erzähler sie nicht liebt, die wertvollen Nachlasspapiere. Im Roman zeigt Tina wirkliche Größe und Verzichtsbereitschaft, während im Film Miss Tina sowohl ihre Tante als auch den Verleger zu Opfern ihres Macht- und Liebesspiels macht.

Den Drehbuchautoren geht es um wirkungsvolle Effekte des Grauens und sie möchten die Popularität von Susan Hayward für einen möglichen Kassenerfolg nutzen. Der Rollentausch von der hartherzigen Haushälterin zur hingebungsvollen Geliebten wird zudem wirkungsvoll durch das barocke Klavierspiel Tinas untermalt.

Henry James dienten die Schicksale und Charaktere der beiden englischen Romantiker Percy Shelley (1792 -1822) und dem geliebt, berüchtigten Lord Byron (1788 – 1824) als Vorlage für seinen Roman. Im Film wird der Poet nach eigenem Geständnis Julianas von ihr ermordet, da der Schwerenöter sie verlassen will und sie die Leiche nach der Tat im Garten ihrer venezianischen Villa verscharrt. Im Film erläutert zusätzlich ein Priester und Vertrauter Julianas weitere Einzelheiten und Handlungszusammenhänge. Diese Figur gibt es in der Romannovelle nicht. Trotz aller Kunstgriffe hatte der Film seinerzeit keinen Erfolg und die Kosten wurden nicht eingespielt.

Dennoch war es für uns ein schöner Filmnachmittag und wir gingen heiter und gelöst nach Hause, obwohl die beiden Bordereaux ihr lasterhaftes Leben aufgrund eines versehentlich herbeigeführten Gebäudebrandes lassen mussten.

Bei einer angeblich 150 Jahre alten Mörderin ist das ja weiter nicht  tragisch, für eine durch das Tragen eines Ringes und Medaillons immer wieder verjüngte, hinreißend schöne, der Liebe sich hingebende Frau dagegen schon. So ist es eben, was im wirklichen Leben tragisch erscheint, amüsiert uns als empfindsame Zuschauer doch.

Wolfgang Schwarz, Juli 2016