Veranstaltung/Filmclub

Schimmelreiter I, Verfilmung aus 1933

Im Literaturkreis sprachen sich nach der Lektüre des Schimmelreiters und der bevorstehenden Literaturreise nach Husum mehrere Teilnehmer dafür aus, die Verfilmung der Novelle im Filmclub zu zeigen. Wir entschieden uns, mit der Version von 1933 zu beginnen und diese Fassung später mit der von 1984 aus der DDR zu vergleichen.

Die ersten Eindrücke hinsichtlich der künstlerischen Konzeption, der inhaltlichen Schwerpunktsetzung und der Rolleninterpretation können nun bereits kundgetan werden.

Filmgeschichtlich ist die Inszenierung von 1933 in zweifacher Hinsicht interessant:

Zum einen spiegelt sie die Gestaltungsformen der damaligen Zeit und zum anderen die ideologischen Aussageabsichten nach der Machtergreifung Hitlers deutlich wider.

 

Befremdlich für unsere heutigen Sehgewohnheiten mutet die starke Fokussierung des Bildhaften auf Kosten von Handlung und Dialog an. Die Bilder (Wattlandschaften, Wolkenbildungen, Volksfeste, Gesangsdarbietungen ) werden wirkungsvoll durch schlichte sinfonische Dramatisierungen untermalt. So wird musikalisch die Wahrnehmung des Zuschauers hinsichtlich des Handlungsverständnisses, der Dramatik und der Aussageabsicht gesteuert. Die Ankündigung eines Unwetters oder die Betrachtung des vernebelten Watts mit einem Pferdegerippe gewinnt den Rang einer sinfonischen Dichtung; Gefühle und Stimmungen werden durch Volkslieder (z.B. Elkes Liebeslied) oder Volkstänze vermittelt.

Fast jeder Zuschauer in unserem Kreis wunderte sich über eine so krasse Zurücknahme des Handlungsverlaufes. Die Dialoge beschränkten sich auf einige Kernsätze der Novelle, wie z.B. die Läster- und Verleumdungsergüsse eines Ole Peters gegenüber Hauke Haien: Hauke, „ der Deichgraf seines Weibes wegen“.

Viel gewichtiger als die Wechselrede ist in diesem Film der Monolog, die öffentliche Rede. Der Oberdeichgraf hält eine Lob- und Dankesrede zugunsten des Erbauers des neuen Deiches, des Visionärs und Landerweiterers Hauke Haien, zum Wohle des Volkes; zuvor musste dieser die Marschbewohner mit einer Wut- und Begeisterungsrede von der Notwendigkeit des Deichbaus überzeugen. In Mimik, Gestus und Sprache imitiert der Hauke-Darsteller Mathias Wieman offensichtlich Adolf Hitler, der sich ja auch als Einzelkämpfer aus einfachen Verhältnissen durch seine rhetorischen Fähigkeiten hochgearbeitet hatte. Hitler und Hauke Haien besaßen autistische Züge. Storm hatte die fiktive Figur Hauke Haien zwar als Eigenbrötler konzipiert, verlieh ihr allerdings auch überaus liebenswerte Züge, die sich vor allem gegenüber Elke und der behinderten Tochter Wienke zeigten. Die behinderte Tochter taucht im Film bezeichnenderweise überhaupt nicht als handelnde Figur auf. Elke, zwar als feinsinnig, selbstbewusst , schön und klug dargestellt, ordnet sich klaglos dem genialen Deichbauer unter. Auch in dieser Beziehung reduziert der Drehbuchautor die Bedeutung und Stärke Elkes im Vergleich zur Novelle. So wird die Absicht der Regisseure und Drehbuchautoren deutlich: Der Führer steht im Mittelpunkt, dem sich alle unterzuordnen haben!

Neben der Konzeption des „Führermodells“ kommt auch das hohe Lied der „Volksgemeinschaft“ nicht zu kurz. Die schon erwähnten ausführlichen Darstellungen der Volksfeste sind ein Beleg dafür. Dabei wird außerhalb der Feiern die Dorfgemeinschaft aber nicht als homogene Masse gesehen. Die „Guten und Einsichtigen“ stehen auf der Seite des Führers, die zersetzenden Kräfte folgen den intriganten und egoistischen Ole Peters. Diese Kennzeichnung spiegelt auch treffend die politische Situation im Deutschland 1933 wider. Im „Schimmelreiter“ spielt nicht nur Ole Peter den negativen Agitator, sondern dieser wird zudem noch angestachelt von seiner ehrgeizigen und verleumderischen Frau Vollina.

Das Duell der beiden Ehepaare ist ein weiteres Strukturelement des Films.

Der Kampf beginnt mit dem Ritterspiel, das Hauke überlegen gegen alle und geradezu vernichtend gegen Ole Peters gewinnt. In der Novelle ist der Wettstreit aber kein Einzelkampf, sondern ein Mannschaftswettbewerb zwischen Geest und Marschbewohner. Beim diesem Kampf, dem Eisboseln, rettet Hauke die Marschbewohner vor einer schon verloren geglaubte Partie.

Existentielle Formen nimmt der Zweikampf bei der verheerenden Sturmflut an.

Die „Ole-Peter-Partei“ versucht den neuen Deich zu öffnen, um den alten geschädigten Deich und Koog zu retten. Das übernimmt der Schimmelreiter im Film selbst, weil er, anders als bei Thomas Storm, aufgrund der Beschimpfungen nachgibt und in einer geradezu lächerlichen Weise, allein mit einem Spaten den Deich aufzukratzen versucht. Inzwischen ist Elke zu Fuß am Deich angelangt und wird von der den Deich überspülenden Flut erfasst und Hauke gibt daraufhin dem Schimmel die Sporen, um ihr in den Tod zu folgen. Hauke opfert sich also für die Volksgemeinschaft. Die ganze Aktion widerspricht zwar der Logik, entsprach aber dem Volkswillen und so wurde Hauke in der Version von 1933 zum Volkshelden: Der Führer opfert sich für das Volk!

6 Jahre später folgten unzählige Soldaten seinem verhängnisvollen Beispiel. Zuvor, nämlich 1933, führten viele Lehrer und Schulleiter ihre Klassen voller Begeisterung ins Kino, um den heldenhaften Schimmelreiter zu bewundern, siegen und verlieren zu sehen.

Wolfgang Schwarz, 26.10.2015