Der Nachruf (...Fortsetzung zu den Randnotizen „Herrn und Frau Thomas Mann“):

Nachruf

Ehre, wem Ehre gebührt

Furchtlos, ungeliebt, verfolgt 

Es kann natürlich nicht geleugnet werden, dass Theodor Lessing in seinen Kritiken die Gegner oftmals beleidigt hatte. Kein Zweifel, er war alles andere als diplomatisch, fühlte sich der Wahrheit verpflichtet und stand konsequent für seine Überzeugungen ein.

Er hatte hinsichtlich seiner Selbstdefinition schon vor dem 1.Weltkrieg ein Identitätsproblem: „Ich konnte weder sagen, dass ich ein Jude noch ein Deutscher war“ (Jüdisches Schicksal, in: Wortmeldungen S.70). Grundsätzlich strebte er danach, seine innere und äußere Freiheit zu bewahren bzw. zu erkämpfen. Den zu mächtigen Einfluss eines „Kollektivindividuums“ lehnte er ab und er definierte sich nicht nach Abstammung oder Religion. Im Gegensatz zu seinen Volksgenossen, ob Deutsche oder Juden, war er Pazifist und beteiligte sich auch nicht an Spekulationen vieler Juden, durch die Teilhabe am 1.Weltkrieg endlich ein integrales Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden zu können. So machte er sich natürlich hier wie dort viele Feinde. Karl Liebknechts entschlossenes Eintreten gegen die allgemeine Kriegseuphorie zollte er lautstark Beifall. Allerdings konnte er wegen einer schweren Rückenverletzung ohnehin nicht seinen Dienst als Militärarzt ausüben. So arbeitete er während des Krieges als Hilfslehrer in Hannover.

 

Nach dem Krieg beteiligte sich Lessing nicht aktiv an der linken Bewegung, setzte aber große Hoffnung in die Demokratie der Weimarer Republik. Immer häufiger wurde er als expressionistischer Schriftsteller und Dramaturg in der Münchener Bohemeszene gesichtet. Seine literarischen Erfolge hielten sich allerdings in Grenzen, aber immerhin wurde er 1922 zum außerordentlichen Professor ernannt, was zwar Ehre, wenig Geld einbrachte. Da seine zweite Frau Ada eine Volkshochschule leitete, verdiente er wenigstens durch Kurse und Vorträge, sowie durch Zeitschriftenartikel und Buchhonorare etwas hinzu. Allmählich verschaffte er sich auch Anerkennung als kritisch-philosophischer Autor. Nationales Aufsehen erregte vor allem 1924 als Gerichtsreporter und Kommentator des „Haarmann-Prozesses“. Aufgrund eigener Recherchen konnte er große polizeilicher Fehler bei der Tatermittlung in Hannover nachweisen.

Haarmann wurde für ca. 70 Sexualmorde an Knaben verantwortlich gemacht. Bereits 1918 wurden die ersten Fälle bekannt und der Massenmörder und Hobbymetzger Haarmann stand von Anfang an im Fokus der hannoveranischen Ermittler. Trotzdem konnte man ihm die Taten nicht zweifelsfrei nachweisen. Obwohl seine Person in Verruf geraten war, setzte ihn die Polizei als V-Mann in der Kriminal- und Obdachlosenszene ein. Verdachtsmomente gegen ihn selbst wurden im Laufe der Jahre wohl auch aufgrund seines souveränen Auftretens und seiner scheinbar plausiblen Schutzbehauptungen immer wieder ignoriert. Obgleich mindestens ein Psychiater ihm schwere psychische Störungen attestiert hatte, wurde dies von den gerichtlich bestellten Sachverständigen bestritten. So wurde schon nach der ersten Verdachtsphase Haarmann aus der Psychiatrie entlassen und konnte sein Unwesen weiter treiben.

Die Vorwürfe gegen Justiz und Polizei riefen heftige Entrüstungsattacken bei den Betroffenen und der Verwaltung hervor und auch die hannoversche Presse ließ kein gutes Haar an ihren streitbaren Kollegen. Allerdings muss man auch kritisch anmerken, dass Lessing ihnen auch vorsätzlich falsches Handeln und Dummheit unterstellte. Klar, dass dies anerkannte Würdenträger nicht auf sich sitzen lassen wollten. Jedenfalls führten Lessings Berichterstattung und Abhandlungen dazu, dass er Hausverbot erhielt und ihm die weitere Berichterstattung untersagt wurde. Der Autor revanchierte sich mit einer allgemeinen Kritik an obrigkeitshörige Bürger und Staatsdiener.

Weit mehr noch als die „Haarmann-Affäre“ schadete Lessing zwei Jahre später seine Kritik an den neu gewählten Reichspräsidenten Hindenburg. Für die Deutschen stand der Nationalheld des 1.Weltkrieges für deutsche Treue und Mannhaftigkeit. Lessing stellte Hindenburg aber als einen weichgespülten Jasager ohne Rückgrat dar. Er bezeichnete den Feldmarschall als ein „treu apportierenden Bernhardiner“, als „getreuen Eckhard“ der deutschnationalen Regierung. Die Presse und national-deutsche Studentenschaften fielen über den vermeintlichen Diffamierer her und forderten seine Entfernung aus dem Hochschuldienst. Lessing wehrte sich u.a. in der der Satirezeitschrift „Stachelschwein“: „Prügel, Verachtung, Denkzettel geben, des Amtes enthoben – aus Deutschland ausgewiesen werden, solche Pfeile umschwirren mich seit Monaten“. Lessing wurde zwar seines Amtes enthoben, durfte aber wenigstens seinen Titel behalten. WEITERLESEN!

Auch die Nationalsozialisten nutzten die Gunst der Stunde. Goebbels verdrehte in seiner Propaganda die Tatsachen: „Der jüdische Geschichtsprofessor hat den Herrn Reichspräsident in ausländischen Blättern mit dem Massenmörder Haarmann verglichen“ (Wortmeldungen… S.343). Lessing erkannte die Gefahr und überlegte bereits 1930 die Möglichkeit der Emigration, setzte diese aber erst nach der Bücherverbrennung am 10.Mai 1933 um. Ada und Theodor Lessing flohen ins böhmische Marienbad. SA-Stabschef Röhm ließ daraufhin eine Kopfprämie von 80.000 RM aussetzten. Der stellungslose Forstarbeiter Rudolf Max Eckert und der Chauffeur Rudolf Ziselka erschossen Theodor Lessing am Schreibtisch sitzend am 31.8.1933.

Lediglich Rudolf Eckert wurde 1945 in der Tschechoslowakei festgenommen und wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. 1956 wurde der Mörder auf eigenen Wunsch in die Bundesrepublik entlassen.

Der Ermordete ist heute weitgehend vergessen. Immerhin wurde 2013 sein Buch: „Haarmann, Geschichte eines Werwolfs“ neu aufgelegt.

 

Alfred Kerr, der ausgesparte Todfeind 

Der Zwillingsbruder im Geiste war zumindest für Thomas Mann der Theaterkritiker und Publizist Alfred Kerr. In einer Tagebuchaufzeichnung am 5.11.1918 bezeichnet der Patriziersohn Thomas Mann „die Juden Kerr und Lessing“ als seine „geborenen Feinde“ und „Verächtlichmacher“ (Harprecht, S. 282). Trotzdem soll hier aus drei Gründen auf eine Kurzdarstellung des umtriebigen jüdischen Protestanten verzichtet werden: 

  1. Die beiderseits vorhanden Animositäten sind vor allem Revierkämpfe: Der damals noch nicht konvertierte Theaterkritiker buhlte um die muntere Katia Pringsheim und stellte ihr sogar einen Heiratsantrag. Die dominant auftretende Millionärstochter empfand den erfolgreichen Publizisten wohl zu selbstbewusst und daher wenig formbar, der Funke sprang nicht über und sie wies sein Anliegen zurück. Allein die Konkurrenzsituation war für den kommenden Star Thomas Mann Grund genug, Alfred Kerr zu hassen, zumal auch später Kerr den Romancier weitgehend mit Ignoranz strafte. 

  1. Der Romanschriftsteller konnte es nicht verkraften, dass der Theaterkritiker Kerr seinen Versuch, auch als Dramatiker zu glänzen, in Bausch und Bogen verdammte. Schon das ihm zur Beurteilung zugesandte Manuskript von„Fiorenza“ nahm Kerr nicht zur Kenntnis. 

  1. Da Thomas Mann keine Kritik ertragen konnte (Nach dem Kerr-Verriss litt er unter Magenkrämpfe und Schmerzanfällen) würde eine Todfeinddebatte lediglich die menschlichen Unzulänglichkeiten beider Kontrahenten offenbaren. So würde z.B. auch offen gelegt, dass Thomas Mann beabsichtigte eine Novelle mit dem Titel „Der Elende“ zu schreiben, bei der der Hauptfigur die Zwillingsbrüder Lessing und Kerr Pate stehen sollten. Immerhin, Thomas Mann hat sich letztlich ein Schweigegelübde auferlegt und das wollen wir achten. 

Alfred Kerr starb 80jährig nach einem Schlaganfall an einer Überdosis an Schlaftabletten, Thomas Mann folgte ihm gleichaltrig acht Jahre später.

 

(für Interessierte: die letzte Fortsetzung folgt in der nächsten Woche an dieser Stelle...)

 Wolfgang Schwarz, 27.03.2015