Thomas Mann – eine autobiographische Spurenlese

Nach einigen Wochen Lektüre und Besprechungen kommen wir in unserem Literaturkreis langsam ans Ende unserer Buddenbrooks -Studien.

Mehrfach drückten wir unser Erstaunen darüber aus, wie ein so junger Autor seinen ersten Roman literarisch derart anspruchsvoll verfassen konnte.

Das Nobelpreiskomitee hob bei der Verleihung des Unsterblichkeitssignums ausdrücklich hervor, dass die Auszeichnung im Jahre 1929 dem Werk „Die Buddenbrooks“ gelte, das bereits im Jahre 1900 erschienen war.

Im Folgenden versuche ich, einige autobiographische Aspekte des Jahrhundertromans aufzuzeigen.

 

 1. Lübeck, eine brüderliche Versagensstory

 Heinrich und Thomas Mann, wie auch ihre Geschwister Julia, Carla und Viktor wurden als Kinder von Thomas Johann Heinrich Mann (1840 – 1891) und seiner aus Brasilien stammenden Ehefrau Julia da Silva (1851 – 1923) in Lübeck geboren. Von den älteren Söhnen Heinrich (1871 – 1950) und Thomas (1875 – 1955) berichtet Klaus Mann: „sie fielen in der Schule durch Aufsässigkeit und Faulheit auf“ (Klaus Mann, Der Wendepunkt, Reinbek 1993, S. 10)

Abgesehen von dieser Gemeinsamkeit verband die beiden Brüder nicht viel. Später entbrannte sogar ein regelrechter Bruderkampf um die literarische Vormachtstellung. Marianne Krüll hebt in ihrer Biographie „Im Netz der Zauberer“ ausdrücklich hervor, dass sich die Beiden schon seit frühester Kindheit spinnefeind waren. Zudem besaßen sie wenige Freunde in der etwas zurückgebliebenen Hansestadt Lübeck. Ihr Ansehen unter den Gleichaltrigen war nicht nur wegen ihrer schlechten Schulleistungen so gering, sondern auch wegen ihrer mangelnden Kraft und Geschicklichkeit. Beide buhlten um die exotisch schöne Mutter. Thomas erwarb ihre besondere Gunst. Nach dem überraschend frühen Tod des Vaters, er starb mit 51 Jahren und verordnete testamentarisch die Liquidierung der Firma, versuchte sich Heinrich als Volontär im Fischerverlag in Berlin. Thomas musste noch 2 Jahre in Lübeck bleiben, um wenigstens das 1-Jährige zu schaffen. Heinrich erlitt 21jährig einen Blutsturz und tourte fortan durch Kurstädte und mediterrane Metropolen. Beide wollten Schriftsteller werden, obwohl sie in der Schule so kläglich gescheitert waren.

 

  2. „Die Buddenbrooks“ – Familienchronik und Abrechnung

 Bereits 1895, nach einigen halbwegs erfolgreichen literarischen Versuchen, hatte der 20jährige Thomas Mann die Idee zu einem Familienroman.

Leitmotivisch, im Sinne von Richard Wagner, war der Untergang eines ehemals erfolgreichen Familienunternehmens darzustellen. Da die Buddenbrooks weitgehend die eigene Familienchronik widerspiegeln sollte, besorgte sich Thomas vor allem von Verwandten und der Erzieherin Therese Bousset (im Roman Sesemi Weichbrodt) die nötigen Informationen. Allein die jüngere Schwester Julia steuerte ein 28seitiges Konvolut bei.

1897 begann der Jungstar mit der Niederschrift. Bei der Figurenkonstellation greift Thomas Mann auf die die Familiengeschichte zurück  und skizziert dabei auch Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben Lübecks, alles ergänzt durch eigene Jugenderfahrungen. Im Schlusskapitel geht es vor allem den Lehrern des Katharinums an den Kragen. Auch andere Vertreter des öffentlichen Lebens erkannten sich in manchen Figuren wieder. Wer auf Reputation setzt, verträgt nur schwer ironische Verballhornungen und so machte sich in Lübeck bei den Meinungsführern schnell eine vehemente Ablehnung des Werkes breit.

Eine besondere Schwierigkeit bereitete den noch nicht 25Jährigen die Charakterisierung der Leitfiguren. Da sich der junge Literat zeitlebens hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt hatte, verlieh er gerade den tragenden Figuren eigene Persönlichkeitsmerkmale. Das gilt vor allem für das Familienoberhaupt Thomas Buddenbrook (eigentlich Vater Heinrich). Das Eitle, die Selbstbeschäftigungsorgien und auch das Kränkliche sind dem jungen Schriftsteller weiß Gott nicht fremd.

Heinrich Mann sollte für Christian Buddenbrook Pate stehen. Jedoch, das Hypochondrische passte auch zu dem Autor selbst. Weiter finden sich bei dem letzten Buddenbrook „Hanno“ viele eigene Charakterzüge und Erfahrungen: das Schulversagen, das weit stärkere kulturelle Interesse als das geschäftliche, die Empfindsamkeit und Kränklichkeit, die Bindung an die Mutter, die Distanz zum Vater.

 

 3. Das Pringsheim-Syndrom

 Bei der Figurenkonstellation fällt eine Besonderheit auf, die zu manchen Spekulationen Anlass geben könnte. Im Roman tritt etwa zur Hälfte der Seitenzahl ein Pastor Pringsheim auf, gemeint ist real der Lübecker Pastor Ranke. Bei der Namensgebung beweist der Autor ironischen Scharfsinn. Pringsheim war ein reicher Professor aus München, jüdischer Geburt, der sich selbst als konfessionslos bezeichnete - welch eine Ironie!

Es kommt aber noch ein Zweites hinzu: Die Pringsheim führten ein mondänes Haus, das in der Münchener Kulturszene ein bedeutende Rolle spielte. Der gute Geist des Hauses war die charmante Ehefrau des kleinwüchsigen Professors. Hedwig Pringsheim war ursprünglich eine repräsentable Schauspielerin mit besonderem künstlerischen Interessen. Auch der Ehemann war ein leidenschaftlicher Kunstsammler, der aber für die Literatur wenig übrig hatte.

Lange bevor Thomas Mann seine spätere Braut, die Professorentochter Katia kennenlernte verwandelte der Jungschriftsteller den Naturwissenschaftler Pringsheim in den Lübecker Pastor. Im Roman wird dieser als kultiviert, gefallsüchtig, weltläufig und salbungsvoll dargestellt. Er bringt an der Tafel die Gäste zum Lachen und bei Beerdigungen dieselben zum Weinen. Wenn der Autor den Pastor auch nicht zum Sympathieträger stilisiert, so kommt er doch gegenüber anderen Kirchenvertretern in den Buddenbrooks noch vergleichsweise gut weg. Der reale Pringsheim erwies sich später gegenüber dem Brautwerber seiner geliebten Tochter Katia als überaus skeptisch. Wahrscheinlich hatte er sich eher einen ihr gleichrangigen Ehemann gewünscht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buddenbook - Romans war aber Katia ohnehin noch kein Thema, schließlich war der Autor da noch unsterblich in den Maler Paul  Ehrenburg verliebt.               

 

Wolfgang Schwarz