Sand X

George Sand, Francois, das Findelkind, 1848

Die Autorin, unsere kluge George, beginnt den Roman mit einer einleitenden Retrospektive.

Auf einem Spaziergang führen die Ich-Erzählerin und ihr philosophierender Begleiter ein Gespräch über den Zusammenhang von Kunst und dem Naturschönen. Der Philosoph macht darauf aufmerksam, dass Kunst z.T. starke Gefühle auslöst, die erhaben sein können und allen Menschen zugänglich seien. Die beiden einigen sich, dass die Kunst aus dem Naturschönen abgeleitet ist und keine Klassenschranken kennt. Dies beweise die sog. Volkskunst wie z.B. die Schäferdichtung, die sich aus dem Ursprung unseres Schaffens und der Verfeinerung unserer Sinneswahrnehmung entwickelte. Der Philosoph nimmt Bezug auf Georges Werk „Jeanne“, in dem die Hauptfigur trotz ihrer Unbildung und ihres Aberglaubens das Geheimnis des Schönen, Edlen in sich trägt. Soll ein literarisches Werk überzeugen, muss es sowohl den gebildeten wie auch dem einfachen Menschen gefallen. Diesen Forderungen müsse auch das anstehende Werk „Das Findelkind“ gerecht werden, das sich aus der Tradition der Volkserzählungen herleitet.

Jetzt geht´s los!

Der Leser begegnet zum ersten Mal dem 6jährigen, wortkargen Findelkind am Dorfbrunnen. Mit uns erblickt auch die mit einem Müller verheiratete Madeleine Blanchet den kleinen Jungen, der scheinbar in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist.

So lernen wir Francois kennen, dessen Pflegemutter Isabelle eine baufällige Hütte bewohnt. Der Kleine kennt nur seinen Vornamen und wird von seinen Spielkameraden als ein Dummkopf angesehen. Madeleine findet ihn aber sympathisch und bemitleidenswert. Ohne dass ihr Ehemann und ihre garstige Schwiegermutter es mitbekommen, unterstützt sie Isabelle und Francois. Der Kontakt intensiviert sich und Madeleine erkennt, dass Francois trotz seiner sprachlichen Defizite sehr intelligent ist, sein Handeln ist stets strukturiert und zielgerichtet. Vor allem faszinieren sie seine motorischen Fähigkeiten. Während sie immer stärkere mütterliche Gefühle für den Jungen entwickelt, schlittert sie in eine Ehekrise, da sich ihr Ehemann eine Geliebte nimmt, ohne dies zu verheimlichen. Vor allem die Schwiegermutter möchte Madeleines Kontakt zu Francois unterbinden. Glücklicherweise stirbt die böse Schwiegermutter, aber der Ehemann treibt weiter sein Unwesen. Die 25jährige Madeleine leidet und ihre einzige Liebe gilt der Tochter Jaennie und dem Findelkind Francois. Unter ihrer Führung entwickelt er sich zu einem liebenswerten und lebensklugen Jungen, der langsam in die Pubertät kommt. Das wird für die Autorin, die nur das mündlich Erzählte verschriftlicht, und auch für die Erzählerin, die auf einem Dorfplatz diese Geschichte zum Besten gibt, zu einem Problem. Wie soll die Geschichte nur weitergehen? Nun mischt sich der Hanfbrecher ein: Sie solle mit dieser Mitleidmasche aufhören und er wäre bereit, die Geschichte fortzusetzen. Die Dorffrauen wünschen zwar eine Liebesgeschichte und vor allem die Geliebte von Madeleines Ehemann unterstellt ihr ein Liebesverhältnis mit Francois. Der Hanfbrecher lässt sich aber das Ruder nicht aus der Hand nehmen und fährt eine Retourkutsche. Er unterstellt der Geliebten, die Magd Monique, dass sie selbst den flotten Francois zu verführen versuchte. Die Magd ist so erbost, dass sie wiederum dem Müller, ihrem Geliebten, berichtet, dass Francois sie sexuell belästigt habe. Das fast erwachsene Findelkind, das mittlerweile ein tüchtiger Gehilfe in der Mühle geworden ist, wird prompt von dem jähzornigen Müller entlassen. Um ein Beziehungsdrama zu verhindern, verlässt Francois schweren Herzens seine Heimat und seine angebetete Ersatzmutter Madeleine.

Wir sind am Wendepunkt, wie soll es weitergehen? Wird es ein Drama, gar eine Tragödie. Der Erzähler, der Hanfbrecher bleibt ruhig, die Zuhörer kleben an seinen Lippen. Es folgt eine kurze Beschreibung der psychischen Situation: Madeleine verkraftet den Abschied von Francois nicht, sie wird untätig, depressiv. Wofür lohnt es sich noch zu leben?

Jetzt ist auch noch der Hanfbrecher entkräftet, er erbittet eine Erzählpause und legt sich schlafen.

Fortsetzung am nächsten Tag:

Seit etwa 3 Jahren arbeitet Francois als Müller in einem überaus erfolgreichen Betrieb. Der Erfolg ist vor allem ihm zu verdanken. Trotzdem merkt sein Chef seine Traurigkeit. Er glaubt, es fehle ihm eine Frau, aber Francois schlägt seinen Vermittlungsvorschlag, sein Schwiegersohn zu werden, aus. Die Tochter stört sich zwar an seinem Status als Findelkind, gleichzeitig weiß sie aber, einen Besseren würde sie nie bekommen. Für Francois kommt erschwerend hinzu, dass die Müllerstochter fast genauso alt ist wie seine „göttliche“ Madeleine. – Der Schlaf tut dem Erzähler gut, er beflügeltet eine Phantasie und so folgt der rettende Einfall: Die immer noch anonyme Mutter des Findelkindes vermacht unserem Helden eine ansehnliche Summe, die ihm vom Dorfpfarrer ausgehändigt wird. Francois flieht zu Madeleine und findet eine sterbenskranke Frau vor. Das Wiedersehen hat ungeheure Heilkraft und auch Madeleines Schwägerin und ihre treue Pflegerin verliebt sich postwendend in den stattlichen Jüngling. Übrigens war auch noch der ungetreue Ehemann Madeleines zwischenzeitlich gestorben. Also: freie Auswahl für Francois! Er will aber nicht wahrhaben, dass er sich in die Schwägerin Mariette verliebt hat. Erschwerend kommt hinzu, dass Monique die Eheschließung Francois mit Madeleine verhindern möchte, und auch eine Heiratsvermittlerin verfolgt bezüglich Mariette andere Absichten. Auch Madeleine hat ein Problem, ihr Herz gehört zwar Francois, aber sie liebt ihn wie einen Sohn und nicht wie einen Geliebten und künftigen Ehemann.

In dieser verzwickten Situation schreitet die Autorin ein. Sie nimmt dem Erzähler das Wort und lässt vorübergehend Francois zu Jeanette, der Tochter seines letzten Arbeitgebers, zurückkehren. Es kommt zu einer Aussprache, Jeanette gesteht, dass sie Francois liebe, aber nicht mehr heiraten möchte. Sie bietet an, mit Madeleine zu sprechen und überraschend entdeckt dabei Madeleine auch ein erotisches Verlangen nach Francois.

Nun verkünden der Erzähler, der Hanfbrecher, und die Autorin gemeinsam das glückliche Ende: Schließlich sei eine etwas ältere Frau doch kein Hindernis für eine Eheschließung!

Diese Botschaft dürfte ganz im Sinne von George Sand gewesen sein und für die heutigen Leserinnen ebenfalls.

Wir wissen natürlich nicht, ob der Erzähler und die Autorin insgeheim diesen Schluss abgesprochen haben.

Wolfgang Schwarz, August 2016

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